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So weit die Wolken ziehen

So weit die Wolken ziehen

Titel: So weit die Wolken ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Fährmann
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rief Kuronew ihm nach.
    Bei einer Hilfspolizistin erkundigte sich Dr. Scholten, ob es in der Stadt eine Anlaufstelle für Flüchtlinge gäbe.
    »Sind Sie Reichsdeutscher?«, fragte sie.
    »Ja. Ich bin mit vielen Schülerinnen aus dem Ruhrgebiet an Bord der Kaiserin Elisabeth.«
    »Gehen Sie nach rechts um die Ecke. Nach etwa einem Kilometer finden Sie links ein großes Amtsgebäude. Fragen Sie dort nach der NSV-Sammelstelle. Wenn Ihnen überhaupt jemand helfen kann, dann die NSV.«
    Während sich Dr. Scholten auf den Weg machte, wurde es an Bord der Emma III lebendig. Befehle wurden geschrien. Die Wachen hatten ihre Gewehre von der Schulter genommen und hielten sie schussbereit in den Händen.
    Die Mädchen waren von dem Geschrei an Deck gelockt worden. Sie sahen, dass auf dem Nachbarschiff Männer in blau-weiß gestreifter Kleidung aus dem Laderaum herausstiegen.
    »Warum laufen die in ihren Schlafanzügen herum?«, fragte ein Mädchen leise.
    Je mehr Menschen den Laderaum verließen und von den Wachen barsch von Bord getrieben wurden, desto stiller wurde es auf der Kaiserin Elisabeth.
    »Die sehen ja schrecklich aus«, flüsterte Anna. Einige konnten nicht einmal mehr aufrecht gehen. Sie krochen auf allen vieren über den Steiger an Land. Die Wachen schrien Befehle, stießen den Männern ihre Gewehrkolben in den Rücken und beschimpften sie.
    Anna musste an die Metzgerei in Oberhausen denken, in deren Nachbarschaft sie wohnten. Dienstags war immer Schlachttag. Die Rinder und Schweine wurden dann in das Schlachthaus getrieben. So ähnlich gingen die Wachen auf der Emma III mit den Männern um. Wie Schlachtvieh. »Aber das sind doch Menschen!«, rief sie laut.
    Eine der Wachen drehte sich um und schrie: »Untermenschen sind das! Untermenschen!«
    Die meisten Mädchen wandten sich erschrocken ab, andere schauten mit Entsetzen dem Elendszug hinterher.
    Schwester Nora legte ihren Arm um Anna. Das Mädchen begann zu weinen. Schwester Nora sagte mehr zu sich selbst: »Es stimmt also doch, was erzählt wird. Keine Feindpropaganda. Keine Gräuelgeschichten. Was können Menschen den Menschen nur antun. Und ich begehre, nicht schuld daran zu sein …«, rief sie laut und begann, schrill zu lachen. Tränen liefen ihr übers Gesicht.
    Wenig später kam Dr. Scholten zurück. Er traf auf eine verstörte Mädchenschar. Frau Krase berichtete ihm kurz, was sie gesehen hatten. Bitter sagte er: »In unserem Namen. All das geschieht in unserem Namen.« Dann wandte er sich an die Mädchen: »Ich habe für diese Nacht ein Quartier von der NSV zugewiesen bekommen. Nehmt all eure Sachen mit. Es ist ungewiss, ob wir morgen mit dem Schiff weiterfahren können.«
    »Was machen wir mit Ruth und Irmgard?«, fragte Anna.
    »Wir können sie unmöglich mitnehmen«, sagte Frau Wisnarek. »Die stecken uns doch alle an. Ich erkundige mich bei dem Schiffsführer, ob die beiden nicht hier an Bord bleiben können, bis wir ein Krankenhaus für sie gefunden haben.« Ohne abzuwarten, was Dr. Scholten und die anderen Lehrerinnen davon hielten, kletterte sie ins Steuerhaus hinauf. »Lieber Herr Kapitän«, säuselte sie. »Sie werden doch sicher gestatten, dass die beiden kranken Kinder vorläufig hier an Bord bleiben, nicht wahr? Wir werden uns morgen …«
    »Sie sind wohl von allen guten Geistern verlassen!«, rief Kuronew. »Ich mache drei Kreuze, wenn sie endlich von Bord sind. Wenn sie die Ruhr haben oder Typhus, liegt mein Schiff für Wochen in Quarantäne! Also, weg mit euch. Mit allen, hören Sie?«
    »Was nun?«, fragte Dr. Scholten.
    Anna ging mit zwei älteren Schülerinnen zu ihm und sagte: »Wir lassen die beiden nicht allein zurück. Wir werden sie tragen.«
    »Bitte?«
    »Huckepack. Wir nehmen sie auf unseren Rücken und lösen uns von Zeit zu Zeit ab.«
    Dr. Scholten widersprach den Schülerinnen nicht. Er verabschiedete sich vom Schiffsführer. »Wir werden die Kinder mitschleppen«, sagte er.
    Kuronew zeigte sich versöhnt. »Kommen Sie morgen vor halb acht hierher. »Dann weiß ich hoffentlich, ob ich die Erlaubnis zur Weiterfahrt habe. Aber ob ich Sie dann mitnehmen kann, ist nicht sicher.«
    Die Schule, in der sie Unterschlupf fanden, lag nur wenige Minuten vom Hafen entfernt. Sie war geheizt. In dem Klassenraum lagen zwar keine Matratzen, aber eine dicke Schicht Haferstroh war ausgestreut worden. Anna sagte: »Besser als der blanke Boden auf dem Schiff ist das auf jeden Fall.« Die Mädchen nutzten die Waschbecken im Klogebäude und

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