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So weit die Wolken ziehen

So weit die Wolken ziehen

Titel: So weit die Wolken ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Fährmann
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fahren kann. Früher ging die Strecke bis Passau, glaube ich. Aber so weit kommt die Reichsbahn nicht mehr. Kein Mensch weiß genau, was morgen noch in deutscher Hand ist. Ich nehme an, dass Sie sich auf einen längeren Aufenthalt in Schloss Theresienruh einstellen müssen.«
    »Längerer Aufenthalt? Wir hoffen, dass wir uns bald nach Oberhausen durchschlagen können.«
    Sie lächelte. In welchem Wolkenkuckucksheim lebt der eigentlich, dachte sie und sagte spöttisch: »Gewiss, Herr Doktor. Aber vor dem Endsieg werden Sie wohl kaum von Schloss Theresienruh aufbrechen können.« Sie bemerkte, wie er erschrak. »Wissen Sie, Herr Doktor, Theresienruh ist nicht der schlechteste Platz für einen längeren Aufenthalt. Bislang war das Schloss eine Schulungsstätte für die Führerinnen des BDM. Aber seit einigen Wochen gibt es wohl nichts mehr zu schulen. Immerhin, das Haus ist eingestellt auf jugendliche Gäste. Der Verantwortliche dort, Genosse Obermayr, ist ein Kollege von Ihnen, ein Lehrer. Er ist Ortsgruppenleiter und genießt in der Partei einen gewissen Ruf.« Sie zog die Nase kraus. »Ich werde Ihre Gruppe gleich telefonisch bei ihm anmelden.«
    Sie setzte ihre Brille wieder auf und wählte eine Nummer, bekam aber keine Verbindung. »Ich werde es später noch einmal versuchen.«
    »Ist Obermayr der Schlossherr?«
    »Wo denken Sie hin. Theresienruh ist ein alter Adelssitz. Obermayr hat nur im Augenblick dort das Sagen. Er wohnt nicht weit vom Schloss entfernt und wird Ihnen den Schlüssel aushändigen. Ich hoffe, Ihre Fragen sind jetzt alle beantwortet?«
    »Gewiss«, sagte Dr. Scholten, ließ sich den Sammelfahrschein ausstellen und verabschiedete sich.
    Schon eine halbe Stunde bevor der Zug abfahren sollte, fanden sich die Lehrerinnen und Schülerinnen auf dem Bahnhof in Linz ein. Irmgard und Ruth ging es etwas besser, aber sie mussten doch noch getragen werden. Dr. Scholten hatte allen mitgeteilt, dass sie in Theresienruh wahrscheinlich länger bleiben müssten. Auf dem Bahnsteig stellte Frau Krase fest, dass vier Mädchen fehlten.
    Die Aufregung war groß. Die Lehrerinnen wussten nicht, sollten sie warten oder losfahren.
    »Heute ist es die letzte Verbindung nach Schloss Theresienruh«, sagte Dr. Scholten. »Nach Lage der Dinge ist es wahrscheinlich überhaupt der letzte Zug, der uns nach Theresienruh bringen kann. Unter diesen Umständen bin ich dafür, das Rote Kreuz hier im Bahnhof zu benachrichtigen, dass vier Schülerinnen nicht erschienen sind. Ich werde die Telefonnummer von Theresienruh hinterlegen. Wenn die Mädchen später auftauchen, wird man uns benachrichtigen. Ich werde dann morgen, auf welchem Weg auch immer, hierher zurückkehren und sie in unser Quartier bringen. Das verspreche ich Ihnen, liebe Kolleginnen.«
    »Es wäre unverantwortlich«, sagte Frau Wisnarek, »wenn wir wegen einiger Ausreißerinnen die ganze Gruppe gefährden würden.«
    Erst als der Zug schon eingelaufen war, schleppte sich Ruth auf wackligen Beinen zu Dr. Scholten. »Ich habe versprochen, es Ihnen erst jetzt zu sagen. Ulla, Ricki, Marianne und Vera haben sich allein auf den Weg gemacht. Sie glauben, dass sie zu viert eine größere Chance haben, schneller nach Hause zu kommen. Sie wollen über Salzburg und München.«
    »Versprechen hin, Versprechen her«, erwiderte Dr. Scholten bitter. »Du hättest uns manche Sorge erspart, wenn du deinen Mund früher aufgemacht hättest. Wir werden zwar ohne deine Kameradinnen fahren, aber die Sorge um vier Mädchen, die nicht einmal vierzehn Jahre alt sind und diesen Wahnsinnsweg allein gehen wollen, die Sorge hört nicht auf.«
    Sie fanden reichlich Platz im Zug. Alle freuten sich darauf, dass sie noch vor dem Abend ihr Ziel erreichen würden.
    In dem Abteil, in dem Frau Brüggen saß, hatten sich sieben Mädchen eng aneinandergedrängt. Der Zug war nicht geheizt und da tat es gut, dicht beieinanderzuhocken. Frau Brüggen fragte die Mädchen, ob sie in Pöchlarn daran gedacht hätten, dass dort vor vielen Hundert Jahren die Burgunder auf ihrer Reise zum Hunnenkönig Etzel eingekehrt seien. Damals habe die Stadt aber noch Bechlaren geheißen. Dr. Scholten, der im Nebenabteil saß, spitzte die Ohren. Wiederholt hatte er seinen Klassen vom Nibelungenlied erzählt und Abschnitte daraus gelesen. Würden sich die Mädchen erinnern? Er stellte sich in den Gang zwischen die beiden Abteile.
    Anna sagte: »Eine Sache, die damals passiert sein soll, werde ich nie vergessen. Das ist die Stelle, in

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