So weit die Wolken ziehen
die Ersatzansprüche bei meiner Schulbehörde an. Hochachtungsvoll Dr. Otto Scholten. Die genaue Anschrift der Behörde hatte er hinzugefügt. Der Direktor in Maria Quell hätte es wohl nicht korrekter handhaben können. Wie mochte es Aumann wohl gehen? Ob er bei den Russen Eindruck machen konnte mit seinem wohlgeordneten Büro?
»Also, wie ist es?«, fragte er. »Das Gerät gehört Ihnen, sobald wir im Linzer Hafen an Land gehen können.«
»Wer könnte da Nein sagen? Aber verraten Sie mir, was das Radio gekostet hat. Bestimmt mehr als hundert Reichsmark, oder?«
»Für hundert Mark bekommen Sie unter der Hand nicht einmal ein einfaches Gerät. Aber seine Quellen darf man nicht verraten.«
»Ist auch egal. Also, abgemacht. Sie sind vor acht mit Ihrem Mädchenpensionat an Bord und ich schippere Sie nach Linz. Aber was haben Sie mit den beiden kranken Mädchen gemacht?«
Dr. Scholten sagte: »Herr Kuronew, ich mache Ihnen einen Vorschlag. Sie prüfen schon mal das Radiogerät, während wir an Bord gehen. Sie werden die Kranken nicht mehr zu Gesicht bekommen.«
»Doch eine Infektionskrankheit?«
»Nein, nein. Vergessen Sie’s. Die Mädchen haben hier an Bord von dem Kühlwasser getrunken, sonst nichts. Probieren Sie nur Ihr neues Radio aus. Sie als Kenner werden Ihre Freude daran haben.«
»Sie verstehen es, Herr Doktor, den Menschen Honig ums Maul zu schmieren.« Der Schiffsführer streckte Dr. Scholten die Hand entgegen und der schlug ein, obwohl Kuronews Pranke ölverschmiert war.
Gut gelaunt lief Dr. Scholten zum Quartier zurück.
Kuronew war mal wieder die Pünktlichkeit in Person. Um acht legte das Schiff ab. Es regnete nicht mehr. Die dunklen Wolken hingen aber immer noch tief und schienen die Wipfel der Bäume zu berühren. Mit Tieffliegern war also kaum zu rechnen. Die Kaiserin Elisabeth stampfte unter Volldampf stromaufwärts. Schon vor zwölf erreichten sie Linz. Das Radio war nun endgültig in Kuronews Besitz. Er besah es von allen Seiten, strich mit seinen groben Fingern zärtlich über das Holz und antwortete auf Dr. Scholtens Frage, ob die Mädchen wohl an Bord bleiben könnten, bis er beim Flüchtlingsbeauftragten erfahren habe, wie ihr nächstes Ziel heiße: »So lange Sie wollen, lieber Herr Doktor, so lange Sie wollen.«
Nach einem umständlichen Hin und Her bekam Dr. Scholten vom Leiter der Informationsstelle die Auskunft, dass für seine Gruppe etwa dreißig Kilometer nordwestlich von Linz eine Unterkunft bereitstehe.
»Können Sie das nicht genauer sagen?«, fragte Dr. Scholten.
»Unser Büro wird verlegt. Das muss organisiert werden. Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht. Fragen Sie meine Sekretärin im Vorzimmer. Die weiß Bescheid.«
Die Sekretärin, eine kleine, quirlige Frau von etwa vierzig Jahren, fertigte gerade einige Angestellte ab. Die verließen mit einem nachlässig gesprochenen »Heil Hitler« das Büro.
Die Sekretärin schaute Dr. Scholten durch ihre dicken Brillengläser an. »Was haben Sie für ein Anliegen?«
»Meine Mädchen sind auf dem Rückweg aus dem KLV-Lager Maria Quell ins Ruhrgebiet. Ihr Chef hat mir mitgeteilt, dass Sie mir genauere Auskunft darüber geben können, wo das Quartier liegt, in dem wir übernachten können. Er sprach von dreißig Kilometern nordwestlich von hier.«
Sie breitete eine Karte aus, fuhr mit dem Zeigefinger eine Landstraße entlang und murmelte: »Typisch Amtsleiter. Keine Ahnung von irgendwas. Sie werden mit den Schülerinnen aus Maria Quell in Schloss Theresienruh eingewiesen. Ich habe übrigens heute Morgen erfahren, dass die Russen die Gegend von Maria Quell erreicht haben. Eine Einheit der SS soll den Ort noch immer verteidigen.«
»Unsere Schülerinnen sind erschöpft von den Strapazen der letzten Tage. Dreißig Kilometer zu Fuß schaffen wir heute nicht mehr.«
»Müssen sie auch nicht.« Sie schlug in einem Fahrplan nach. »Um, warten Sie, kurz nach fünf heute Nachmittag fährt ein Zug ab Linz in die Richtung. Den können Sie nehmen. Ich stelle Ihnen einen Sammelfahrschein aus. Augenblick.«
»Schloss Theresienruh, das hört sich gut an«, sagte Dr. Scholten. »Und wo erfahre ich, wann und wohin es mit uns von dort aus weitergeht?«
Sie legte ihre Hornbrille auf den Schreibtisch, zog die Augenbrauen zusammen und blinzelte ihn aus zusammengekniffenen Augen an. »Weiter? Aber Herr Doktor! Die Amerikaner kommen von Westen und Norden, die Russen von Osten. Freuen Sie sich, dass überhaupt noch ein Zug nach Nordwesten
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