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So weit die Wolken ziehen

So weit die Wolken ziehen

Titel: So weit die Wolken ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Fährmann
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las Frau Wisnarek von einer Liste vor, welche Nahrungsmittel noch im Haus waren. Viel war es nicht mehr. Zum Schluss sagte sie: »Eine gute Nachricht gibt es aber: Wir haben aus Linz zwanzig Zentner Kartoffeln bekommen. Die sind inzwischen vom Lkw abgeladen und in den Keller gebracht worden. Verhungern müssen wir in den nächsten Tagen also nicht.«
    »Und wann dürfen wir nach Hause?«, rief ein Mädchen mit zittriger Stimme.
    »Schwester Nora hat leider keine guten Nachrichten mitgebracht«, sagte Dr. Scholten. »Die Amerikaner haben Passau eingenommen und stoßen in unsere Richtung nach Oberdonau vor. Niemand kommt durch die Frontlinien. Wir müssen uns also darauf einrichten, dass wir hier in Theresienruh länger bleiben. Wir werden wohl den Salat noch ernten können, den wir ausgesät haben. Ab morgen beginnt für euch wieder der Unterricht.« Die Mädchen begannen zu brummen. Dr. Scholten ergänzte: »Schule ist wichtig. Irgendwann geht auch der längste Krieg zu Ende. Und dann könnt ihr nur einen Beruf finden, wenn ihr gut ausgebildet seid. Wir sind allerdings vorerst nicht in der Lage, täglich mehr als zwei Stunden zu unterrichten.«
    Schwester Nora rief in den Lärm hinein: »Noch eine Kleinigkeit, bevor ihr aufsteht. Viele von euch haben schlechtes Schuhwerk. Morgen nach dem Unterricht könnt ihr klassenweise zu mir kommen. Wer neue Schuhe braucht, dem kann geholfen werden. Sie sind sozusagen ein Geburtstagsgeschenk.«
    »Wer hat denn Geburtstag, Schwester?«, fragte Frau Krase.
    »Haben Sie diesen wichtigen Tag vergessen? Morgen ist der 20. April, Führers Geburtstag.«
    Selbst Frau Lötsche hatte nicht daran gedacht. Dr. Scholten überlegte kurz. »Wir werden es diesmal bei einem morgendlichen Flaggenappell bewenden lassen. Selbst unserem Führer wird nicht nach Feiern zumute sein.«
    »Wie ist die Schwester an die Schuhe gekommen?«, wollten einige von Anna und den anderen Mädchen wissen, die mit nach Linz gefahren waren.
    »Fang du an«, forderte Anna ihre Schwester auf. Lydia erzählte, dass sie kurz hinter dem Ortsausgang, dort, wo die Gärtnerei lag, dicht vor der Brücke an einer Panzersperre vorbeigefahren seien. Aus Balken und Brettern sei ein Hindernis quer über die Straße gebaut worden, das die Panzer der Feinde aufhalten solle.
    »Schieben die so was nicht einfach weg?«, fragte ein Mädchen.
    »Der Tiger und andere deutsche Panzer würden das sicher leicht schaffen«, antwortete Lydia. »Aber vielleicht haben die Amerikaner keine starken Panzer.«
    »Weiter«, drängte Anna.
    »Wir sind mit einem Laster gefahren und saßen alle vier vorn beim Fahrer. Der hieß Peter, ein lustiger Kerl. Bis vor die Parteizentrale in Linz wurden wir gebracht. Dort hat er gesagt, wann er uns wieder abholen wollte. Und jetzt muss Ruth weitererzählen.«
    »Erst haben uns die beiden Wachen, die am Eingang standen, gar nicht reingelassen. Als sie aber von Schwester Nora hörten, dass wir einen Termin mit einem Herrn von der Reichsleitung hätten, da ist einer losgerannt und hat nachgefragt, ob das stimmt. Angeblich wusste man von nichts. Da hat Schwester Nora ihm einen versiegelten Brief für einen Herrn von Kinewski gegeben.
    Irmgard fiel ihr ins Wort: »Mach nicht so eine lange Geschichte daraus. Der Soldat hat den Brief genommen und ist wieder reingegangen. Sie haben uns ziemlich lange warten lassen. Dann ist eine Frau herausgekommen und hat gesagt: Ich soll Ihnen mitteilen, dass die Rückführung zurzeit unmöglich ist. Im ganzen Reich tobt die entscheidende Schlacht. Da gibt es für Zivilisten kein Durchkommen. Vielleicht sprechen Sie in einigen Wochen noch einmal bei Herrn von Kinewski vor. Und das war’s dann.«
    »Nicht ganz«, sagte Anna. »Schwester Nora hat noch nach Schuhen gefragt. Wir haben wieder gewartet. Aber dann ist eine junge Frau in BDM-Uniform herausgekommen. Sie hatte eine Bescheinigung in der Hand. Wir mussten ziemlich weit bis zu einer großen Baracke laufen. Das war wohl ein Versorgungslager. Dort haben sie uns vier große Pappkartons gegeben. Einfach so.«
    »Schöne Schuhe?«, wollte ein Mädchen wissen. »So wie die damals aus Ungarn?«
    Irmgard lachte auf. Anna flüsterte: »Nichts verraten, Irmgard. Die Überraschung wird groß sein.«
    Am Abend malten sich die Mädchen im Schlafsaal aus, was sie wohl für Schuhe bekommen würden. Ein Geschenk von der Reichsleitung, das musste doch etwas ganz Besonderes sein. In der Fantasie wurden die Schuhe immer eleganter. »Hoffentlich

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