So weit die Wolken ziehen
welche mit hohen Absätzen … Lackschuhe vielleicht … Nicht nur die Einheitsfarbe Schwarz … Stiefel aus weichem Leder.«
Ruth flüsterte Anna zu: »Sie werden uns verprügeln, wenn sie sehen, was wir mitgebracht haben.«
Am nächsten Morgen wurde es nichts mit den Schuhgeschenken. Die Mädchen wurden von einem fernen Grummeln geweckt. Sie kannten das Geräusch.
»Kanonendonner«, sagte Eva und schaute aus dem Fenster. »Wird nicht mehr lange dauern, dann fängt derselbe Mist wie in Maria Quell an. Rucksäcke packen, Abmarsch.«
»Diesmal nicht, Eva.« Anna stellte sich neben sie und zeigte donauabwärts. »Da sind die Russen. Und von da«, sie streckte ihren Arm nach Südwesten, »von da kommen die Amis. Wohin sollten wir fliehen?«
»Jetzt erst mal zum Geburtstagsfrühstück«, rief Irmgard und sprang aus dem Bett.
Der Flaggenappell war kurz. Die Hakenkreuzfahne wurde hochgezogen und hing schlapp am Mast. Frau Lötsche rief: »Wir gratulieren unserem geliebten Führer zu seinem sechsundfünfzigsten Geburtstag mit einem dreifachen Sieg …« , und die Mädchen schrien: »Heil! Heil! Heil!«
Dann stimmte die Lehrerin das Lied an Wenn alle untreu werden, dann bleiben wir doch treu.
Zum Frühstück gab es für jedes Mädchen ein weißes Brötchen. Die Bäckerei hatte sie zur Feier des Tages schon früh zum Schloss heraufgebracht.
»Wie zu Kaisers Zeiten«, sagte Schwester Nora. »In meiner Schulzeit in Königsberg hat es einmal im Jahr, wenn der Kaiser Geburtstag hatte, für jedes Kind ein weißes Brötchen gegeben.«
»Wie lange haben wir schon kein Brötchen mehr gegessen«, sagte Irmgard. »Ganz, ganz langsam kauen«, schlug Anna vor. »Wer weiß, wann wir wieder mal eins bekommen.«
Dr. Scholten war aufgefordert worden, noch am Morgen im Schulamt der Kreisstadt bei Regierungsschulrat Kronewetter zu erscheinen. Er hatte kein gutes Gefühl. Sollte er eine Rüge bekommen, weil er eigenmächtig entschieden hatte, den Unterricht wieder aufzunehmen?
»Willst du nicht mit, Nora?«
»Eigentlich wollte ich ja die Latschen für die Mädchen ausgeben.«
»Die laufen dir nicht weg. In der Kreisstadt kannst du dich umsehen, ob die Metzgereien heute Fleisch geliefert bekommen haben. Dreißig Kilo Rindfleisch sind uns zugeteilt worden, wenn, ja, wenn es denn geliefert wird.«
Gleich nach dem Frühstück gingen sie zur Landstraße und wurden bald darauf von einem Auto mitgenommen.
Dr. Scholten wurde sofort bei Herrn Kronewetter vorgelassen.
»Schulleiter Direktor Dr. Otto Scholten?«, fragte der Schulrat.
»Wie befohlen«, antwortete Dr. Scholten. »Aber ich bin nur Studienrat.«
»Gewesen, mein Lieber.«
Der Schreck fuhr Dr. Scholten bis in den Magen. Gewesen? Was hatte er sich zuschulden kommen lassen? Er war doch nie aus der Reihe getanzt. Das Parteiabzeichen auf dem Misthaufen? Nein, das konnte niemand wissen. Der Aufbruch aus Maria Quell ohne schriftlichen Befehl?
Der Schulrat öffnete eine Tür in seinem Schreibtisch, nahm zwei Kognackschwenker heraus und goss den Rest, der sich noch in einer Flasche befand, hinein. Dann wedelte er mit einem Schriftstück und forderte Dr. Scholten auf, ein Glas zu nehmen. »Studienrat gewesen, verehrter Herr Kollege. Ab sofort sind Sie zum Direktor Ihrer Schule befördert.«
Er überreichte Dr. Scholten die Urkunde, nahm das andere Glas vom Schreibtisch und prostete dem frischgebackenen Direktor zu.
Dr. Scholten hatte es die Sprache verschlagen.
»Tja«, sagte der Schulrat, »unsere Behörde funktioniert auch, wenn das Gewitter näher kommt.«
Er deutete zum Fenster. Die Geschütze donnerten inzwischen ohne Unterlass.
»In Österreich ist es übrigens üblich, Herr Kollege, dass Sie sich ab jetzt Professor nennen lassen können.«
Nun war Dr. Scholten völlig verwirrt. »Das wird mir keiner glauben«, stammelte er.
»An nichts gewöhnt man sich schneller als an wichtig klingende Titel«, sagte der Schulrat und lächelte Dr. Scholten aufmunternd zu.
»Wem verdanke ich eigentlich die Ehre?«, fragte der neue Direktor.
Der Schulrat kramte in dem Papierstapel auf seinem Schreibtisch, fand schließlich den betreffenden Brief und sagte: »Ein gewisser Direktor Alfred Aumann hat den Antrag schon vor drei Monaten gestellt, weil er sich aus Gründen, die er nicht genannt hat, der Schulleitung nicht mehr gewachsen fühlte.«
»So ein Geheimniskrämer«, entfuhr es Dr. Scholten.
Der Schulrat stand auf. »Meine Zeit ist leider begrenzt. Ich muss gleich zur Feier von
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