So weit die Wolken ziehen
Schiffsführer hatte sich eine Pfeife angezündet und paffte mit dem Schornstein um die Wette.
»Wie weit ist es noch bis Aschach?«
»Hinter der nächsten Biegung können Sie den Kirchturm steuerbords sehen.«
Dr. Scholten schaute verwundert nach vorn. »Es kommen gar keine Schiffe entgegen. Ist es morgens immer so ruhig?«
»Eigentlich nicht. Aber noch blockieren zu viele Schiffswracks die Fahrrinne. Von Untermühl bis Aschach ist die Strecke allerdings frei.«
Aschach zeichnete sich am Horizont ab. Es sah aus wie auf einem Kupferstich, der Kirchturm mit der zweifach geschwungenen Haube, dann die Dächer und Fassaden der Häuser.
»In zehn Minuten legen wir an«, sagte der Schiffsführer. Dr. Scholten stand schon wieder auf der Leiter, da rief er ihm noch zu: »Wohin wollen Sie eigentlich in Aschach?«
»Genau weiß ich es auch nicht. Aber es sollen wieder Züge bis Salzburg fahren. Dort ist ein Sammellager für Flüchtlinge.«
»Dann müssen Sie wahrscheinlich zuerst nach Linz. Hier in Aschach wird kein Zug Richtung Salzburg halten. Die kleine Station liegt übrigens außerhalb des Orts.«
Unweit vom Steiger stand ein niedriges Haus. Ein Schwarzer kam heraus und forderte von Dr. Scholten Papiere.
Er zeigte seinen Ausweis. »Wir wollen nach Salzburg. Da soll ein Sammelpunkt für Flüchtlinge sein.«
Aber der Soldat schüttelte den Kopf. »Permit!«, sagte er laut.
»Was will er, Anna?«
»Ich glaube, er verlangt einen Erlaubnisschein, Herr Doktor.«
Jetzt schaltete sich Frau Lötsche ein. Sie hatte offenbar ihre Weigerung, mit den Amerikanern zu sprechen, aufgegeben und wechselte einige Sätze mit dem Soldaten. Schließlich sagte sie: »Ohne eine Bescheinigung, ein offizielles Permit, kommen wir nicht weiter. An Reichsdeutsche dürfen keine Passierscheine ausgegeben werden. Er will die Kommandantur in Linz anrufen.«
Die Sonne hatte die Morgenfeuchte längst getrocknet. Die Mädchen ruhten sich auf einem Rasenstück aus. Dann wurde das frische Brot aus Untermühl aufgeteilt. Vielleicht mussten sie sich ja auf eine längere Rast einrichten.
Nach etwa zehn Minuten kam der Soldat mit einem Sergeanten aus dem Haus. Er erklärte Frau Lötsche, dass er den Leiter der Gruppe mit einem Jeep zur Kommandantur nach Linz bringen müsse. Dort werde entschieden, was zu geschehen habe.
Er holte den Geländewagen, der hinter dem Haus parkte.
»Fahren Sie bitte mit, Frau Lötsche«, sagte Dr. Scholten und stieg vorn zu dem Sergeanten.
Frau Lötsche nahm ihre Krücken und kletterte vorsichtig auf den Rücksitz.
»Let’s go«, rief der Sergeant, spuckte seinen Kaugummi aus und fuhr los. Er wollte wohl zeigen, was der Jeep leisten konnte, und fuhr wie der Teufel. Obwohl die Landstraße voller Schlaglöcher war, schaffte er die dreißig Kilometer in weniger als einer halben Stunde. Auch in der Stadt drosselte er das Tempo nicht. Er bremste vor dem Nebeneingang eines grauen Verwaltungsgebäudes und machte eine knappe Handbewegung, dass sie aussteigen sollten.
Frau Lötsche fragte sich bis zum Vorzimmer des Kommandanten durch. Als die uniformierte Sekretärin die Krücken sah, bot sie Frau Lötsche einen Stuhl an. Dr. Scholten lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Zweimal öffnete die Sekretärin die Tür zu dem Raum, in dem der Kommandant mit einem Besucher verhandelte. »Scheint noch zu dauern«, sagte sie.
Endlich begleitete der Kommandant eine Zivilperson hinaus.
Es dauerte lange, bis er zurückkam. Er hielt Frau Lötsche die Tür auf und bat auch Dr. Scholten in sein Büro. Frau Lötsche schilderte ihm ihr Anliegen.
Der Kommandant breitete eine Österreichkarte auf seinem Schreibtisch aus, stand auf und sagte etwas zu Frau Lötsche. Er sprach sehr schnell und näselnd. Dr. Scholten verstand kaum ein Wort.
»Wir sollen ihm auf der Karte zeigen, woher wir kommen.«
»Maria Quell oder Theresienruh?«, fragte Dr. Scholten.
Sie vergewisserte sich. »Unseren letzten Aufenthaltsort«, antwortete sie.
Dr. Scholten beugte sich über die Karte und rückte seine Brille zurecht. Er hatte die Kreisstadt schnell gefunden. Theresienruh war nicht eingezeichnet. Er deutete vage auf eine Stelle zwischen der Kreisstadt und Untermühl.
»Hm, left side of the river«, murmelte er. Er schaute noch eine ganze Weile auf die Karte, dann drehte er sich abrupt um und sagte etwas zu Frau Lötsche. Schließlich wandte er sich seinen Papieren auf dem Schreibtisch zu und drückte auf einen Knopf.
Die Angelegenheit war für ihn
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