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So weit die Wolken ziehen

So weit die Wolken ziehen

Titel: So weit die Wolken ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Fährmann
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zeigte auf eine Reihe durch weiße Vorhänge abgeteilte Kabinen, »dort sind die Schlafplätze für die Erwachsenen. Das ist für die Aufsicht über die Mädchen sehr praktisch.«
    Frau Lötsche warf Dr. Scholten einen kurzen Blick zu. »Besser als ans andere Ufer zurück«, flüsterte sie.
    »Also?«, fragte die Oberin. »Wann darf ich mit Ihnen rechnen?«
    »Wir werden morgen im Laufe des Vormittags hier ankommen.«
    »Gut. Dann bleibt uns Zeit, Ihnen frische Bettwäsche bereitzulegen. Das Beziehen der Betten macht den Mädchen ja wohl keine Probleme.«
    »Selbstverständlich nicht«, sagte Dr. Scholten schnell.
    »Ihre Lebensmittelkarten wird die Küchenschwester einsammeln. Wir werden Sie nach Kräften versorgen. Sie werden allerdings verstehen, dass unser Haus das nicht für Gotteslohn leisten kann.«
    »Das haben wir schon gehört. Arm wie Kirchenmäuse.«
    »Es geht nicht um uns Schwestern. Aber die, die wir im Haus betreuen, sind …« Sie dachte einen Augenblick nach. »Ich will es so sagen: Es sind sehr anspruchsvolle, besondere Kinder.«
    »Wir werden uns einigen«, stimmte Dr. Scholten zu. »Es gibt in Linz einen Flüchtlingsfonds. Ich werde dort vorsprechen.«
    »Bleibt noch zu sagen, dass Sie keinen Kontakt mit unseren Kindern haben dürfen. Es hat einen Fall von Typhus gegeben. Der Arzt hat Quarantäne angeordnet. Aber keine Sorge. Unsere Kinder sind in einem separaten Flügel des Hauses untergebracht.«
    Sie brachte Frau Lötsche und Dr. Scholten wieder zum Eingang und warf einen kritischen Blick auf die Krücken. »Wir werden Sie gleich morgen mit besseren Gehhilfen ausstatten«, sagte sie.
    »Ich bin mal neugierig, was unsere Damen dazu sagen, dass sie mit den Mädchen in einem Saal schlafen müssen«, sagte Dr. Scholten, als sie wieder im Auto saßen.
    In Aschach rief er die Kolleginnen zusammen. »Uns ist geholfen worden«, sagte er. »Ab morgen werden wir südlich der Donau auf Schloss Hartheim bei Linz aufgenommen. Um acht oder etwas später sollen wir uns am Bahnhof einfinden. Dann werden wir mit Lkws von der Army nach Hartheim gebracht.«
    »Ab morgen?«, fragte Frau Krase. »Und wo bleiben wir heute Nacht?«
    »Sie sind durch den Aufenthalt in Theresienruh wohl aus der Übung gekommen, Frau Kollegin«, spottete Frau Wisnarek. »Für die paar Stunden finden wir bestimmt ein Dach überm Kopf. Im Bahnhof zum Beispiel.«
    Der Bahnhof lag ziemlich weit von der Donau entfernt. Eigentlich war es nur eine Bahnstation. Immerhin gab es vor dem Fahrkartenschalter einen Raum, in dem etliche Bänke standen. Eine kleine, quirlige Frau kam aus dem hinteren Dienstzimmer und sagte, sie sei Frau Sonne, die Stationsvorsteherin. Sie hatte nichts dagegen, dass die Gruppe für eine Nacht im Bahnhof blieb. »Es ist zwar eng hier für so viele«, sagte sie. »Aber nachts wird’s immer noch kalt. Da tut’s gut, eng zusammenzurücken. Und wenn Sie wollen, mache ich ein paar Kannen heiße Brühe. Aber mehr kann ich leider nicht tun für so viele Leut’.«
    »Wir haben noch einige Reste von unseren Vorräten«, sagte Schwester Nora. »Bis morgen früh, wenn wir abgeholt und nach Schloss Hartheim gebracht werden, halten wir’s schon aus.«
    Katalin war nicht dabei gewesen, als Dr. Scholten Schloss Hartheim als Unterkunft genannt hatte. Sie sprang auf und fragte erregt: »Schloss Hartheim? Haben Sie gesagt Schloss Hartheim?«
    »Ja. Kennst du das Schloss?«, fragte Schwester Nora.
    Sie schüttelte den Kopf. »War mal Kinderheim für behinderte Kinder. Aber ich nicht werde dorthin gehen.«
    »Wieso nicht? Gibt’s da Gespenster?«
    »Kann sein. Aber ich geh nicht hin. Hab viele schlimme Sachen gehört über Schloss Hartheim. Soll Schloss von toten Kindern sein. Aber mehr sag ich nicht.« Sie setzte sich wieder, nahm ihren kleinen Sohn auf den Schoß und beugte sich über ihn, als müsste sie ihn vor irgendetwas schützen. Der Junge begann zu wimmern.
    »Still, Kind, still«, sang sie leiernd. »Brauchst keine Angst haben. Bringe dich nicht zum Totenhaus.«
    »Nun hör aber auf, Katalin«, herrschte Schwester Nora sie an. »Willst unseren Mädchen wohl Angst einjagen, wie?«
    Katalin sang leise weiter, aber nicht mehr in Deutsch, sondern in ihrer Muttersprache.
    Anna hatte mitbekommen, was Katalin von Schloss Hartheim gesagt hatte. Als Frau Brüggen das Bahnhofsgebäude verließ, folgte sie ihr auf den Bahnsteig.
    »Ob überhaupt schon wieder Züge fahren?«, fragte Frau Brüggen.
    »Bestimmt«, sagte Anna.
    »Woher

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