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So weit die Wolken ziehen

So weit die Wolken ziehen

Titel: So weit die Wolken ziehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Fährmann
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schweren Dinger heute Nacht nicht ausziehen?«, fragte Anna.
    »Möchte ich schon. Aber ich krieg sie allein nicht von den Füßen.«
    »Ich kann dir helfen.«
    Lydia nickte. »Aber bitte ganz vorsichtig. Ich glaube, mit meinem rechten Fuß ist was nicht in Ordnung.«
    Anna nahm den Stiefel in beide Hände und zog. Lydia wimmerte leise. Am liebsten hätte sie aufgeschrien, aber sie fürchtete, dass dann alle wach würden.
    Anna erschrak. An Lydias linkem Fuß hatte sich eine Blase gebildet, groß wie ein Markstück. Noch schlimmer sah der rechte aus. An der Ferse war er aufgescheuert und blutete.
    »Ich wecke Schwester Nora«, sagte Anna.
    »Lass das bitte. Morgen brauchen wir nicht zu laufen. Auf Schloss Hartheim kann ich alles auskurieren.«
    Katalin war aufmerksam geworden. »Sehen nicht gut aus, deine Füße«, flüsterte sie. »Hast du Salbe und Verband?«
    Lydia schüttelte den Kopf. »Ich knote zwei Taschentücher zusammen und binde sie darüber.«
    »Warte, ich hab Creme vom Baby und auch Verband.« Sie kramte in dem Beutel, in dem sie die Sachen für den Säugling hatte, und fand Fettcreme und Verbandszeug.
    »Nimm Stepan, Anna«, sagte sie. »Ich verbinde.«
    Sie strich die wunde Stelle dick ein und legte geschickt einen Verband an.
    »Wo hast du das gelernt, Katalin?«, fragte Anna.
    »War ich sechs Monate in Krankenhaus für Kinder dienstverpflichtet. Da hab ich gehört Schloss Hartheim. Böse Geschichten. Deshalb ich geh nie, nie hin.«
    »Erzähl uns davon«, sagte Anna.
    Katalin presste ihre Lippen zusammen. Ruth Zarski zwängte sich zwischen Lydia und Anna. »Mir ist kalt«, sagte sie.
    »Ich hab dir geholfen, Katalin, als du dein Kind geboren hast. Du bist mir noch etwas schuldig. Mach kein Geheimnis aus dem, was du weißt.«
    »Weiß gar nichts, Anna. Nur, was man hat erzählt. Aber gut, wenn du willst hören, dann sag ich dir.«
    Und dann flüsterte sie lange mit den Mädchen. Manchmal redete sie so leise, dass Lydia sie anstieß und auf ihre Ohren zeigte. Es war eine entsetzliche Geschichte. »Vor dem Krieg soll Schloss beschlagnahmt worden sein. Von Nazis. Nonnen hatten dort Heim für Kinder. Arme Kinder. Nonnen mussten weg aus Schloss.« Katalin machte eine Pause und schluckte. »Kinder alle tot. Ist gesagt worden, Nazis haben alle umgebracht. Alle. Tod sollte sein Erlösung. Schwarzer Rauch kam aus Schornsteinen. Stunden. Tage. Wurde in Krankenhaus erzählt. Asche über Felder verstreut. Sollte Gras drüberwachsen. Hab ich so gehört.«
    Anna und Lydia hörten mit weit aufgerissenen Augen zu. Ruth presste ihre Hände gegen die Ohren.
    Es dauerte lange, bis Anna sich gefasst hatte. »Das ist eine fürchterliche Geschichte, Katalin. Dr. Scholten hat gesagt, jetzt sind wieder Schwestern im Schloss. Und Kinder auch. Deine Geschichten glaube ich erst, wenn ich dort gefragt habe, ob das nicht doch nur Gräuelmärchen sind.«
    »Glaub, was willst. Ich geh nicht hin. Wenn Geister gibt, dann in Schloss. Kann nicht sein, dass Tote dort Ruhe finden. Ich geh nicht mit.«
    »Wo willst du mit dem Kleinen bleiben?«
    »Überall ist besser als Schloss Hartheim.«
    Lydia und Anna konnten nicht einschlafen. Wie erstarrt lagen sie nebeneinander. Nur Ruth hatte sich in den Schlaf geflüchtet, schrie aber mehrmals auf, als würde sie von schlimmen Träumen gequält. Erst als das erste Morgenlicht in den Fenstern aufschimmerte, dämmerte Anna ein. Irgendwann schreckte sie hoch. Katalin saß nicht mehr auf der Bank. Sie und ihr Kind hatten die Gruppe verlassen.
    Um acht Uhr waren noch keine Lastwagen am Bahnhof eingetroffen. Auch um neun Uhr war noch nichts zu sehen. Frau Sonne war schon früh weggegangen. Kurz nach neun kehrte sie mit einer guten Nachricht zurück. »Ich habe gestern Abend noch die Häuser in der Nachbarschaft abgeklappert und den Frauen von Ihrer Irrfahrt erzählt«, sagte sie zu Dr. Scholten. »Wir haben uns etwas ausgedacht. Seit drei Monaten steht eine Kiste in der Gepäckaufbewahrung hier im Bahnhof. Die sollte schon einen Tag später wieder abgeholt werden. Aber ich hab nichts mehr von dem Mann gehört, der sie mir damals anvertraut hat. Vorige Woche hab ich nachgeschaut, was eigentlich drin ist, und ein Brett aufgehebelt. Und was habe ich entdeckt? Die Kiste ist randvoll mit getrockneten gelben Erbsen. Die Erbsen haben mich auf eine Idee gebracht. Ich habe den Nachbarinnen vorgeschlagen, dass wir für uns und für Sie alle eine leckere dicke Erbsensuppe kochen. Erbsensuppe, in großen Töpfen

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