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So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock

Titel: So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melda Akbas
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gewesen sein, das Gott der Allmächtige einst niederschreiben ließ. Eigentlich ist es kein Wort, sondern eine Art Formel, die so viel bedeutet wie: »Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes.« Manche übersetzen es auch als: »Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Allbarmherzigen.« Im Grunde sind das nur andere Begriffe, die das Gleiche meinen. Auf jeden Fall spielt diese Formel im Islam eine sehr wichtige Rolle, was man schon daran erkennt, dass hundertdreizehn der insgesamt hundertvierzehn Suren des Korans damit beginnen. Überhaupt soll man sie ständig aufsagen, nicht nur vor den Mahlzeiten und vor dem Gebet, eigentlich immer, ehe man irgendetwas macht, damit das auch gelingt. Es heißt, sobald man die Formel ausspricht, erfährt man materielle und spirituelle Unterstützung. Und es heißt auch, selbst wer sie nur einmal im Leben aufgesagt hat, wird nicht als Ungläubiger sterben.
    Mein Großvater mütterlicherseits scheint fest daran zu glauben. Man müsste mal zählen, wie oft er am Tag Bismillahirrahmanirrahim vor sich herbetet. Bevor er aus seinem Sessel aufsteht oder sich bückt, um etwas aufzuheben, bevor er Tee trinkt oder den Fernseher einschaltet, bevor er zur Tür hinausgeht oder sich an seine Hausapotheke setzt, um irgendwelche Pillen herauszusuchen, bevor er meinen Cousin Barkin, den jüngsten von allen, auf seinen Schoß hebt - ich weiß gar nicht, ob er sich überhaupt bewegt, ohne vorher den barmherzigen und gnädigen Gott gelobpreist zu haben.
    Es wundert mich nicht, dass das auf Anne abgefärbt hat. Sie und ihr Vater sind sich in vielen Charakterzügen ähnlich. Doch während es bei Großvater immer ganz niedlich
wie ein Seufzer klingt, hört es sich bei Anne an, als würde sie gerade schwere Arbeit verrichten, bei der sie sich mächtig anstrengen muss. Baba geht mit der Formel übrigens wesentlich sparsamer um. Tayfun und ich sind in dieser Hinsicht inzwischen absolute Minimalisten.
    Das Alter, in dem ich mich nicht mehr einfach an unseren Küchentisch setzen und losessen durfte, hielt Anne anscheinend auch für geeignet, mich mit den Regeln in einer Moschee vertraut zu machen. Sie tat das auf eine sehr behutsame Weise, sodass ich lange nicht merkte, wohin mich das führen sollte. Damals hatte sie es sich zur Gewohnheit gemacht, regelmäßig eine Moschee aufzusuchen, jeden Samstagvormittag ab zehn Uhr. Um diese Zeit begann dort eine Vas für muslimische Frauen. Das ist eine Art Predigerstunde, bei der eine Hoca Koranverse vorträgt und Aussprüche des Propheten Mohammed rezitiert. Hocas sind islamische Geistliche, die wir in der Moschee auch Lehrer nennen. Bei den Vas für Frauen sind die Hocas selbstverständlich weiblich. Für sie gibt es nur keine spezielle Bezeichnung, jedenfalls wüsste ich keine. In einer Moschee findet überhaupt alles streng nach Geschlechtern getrennt statt. Selbst beten dürfen Männlein und Weiblein nicht im selben Raum, zumindest nicht zur gleichen Zeit. Zu Hause verbietet ihnen der Koran das nicht, da sollen sie es sogar. Ich habe Anne und Baba allerdings noch nie zusammen beten sehen.
    Irgendwann nahm mich Anne also mit zu einer dieser Vas , und von da an beinahe jeden Samstag. Wir zogen uns hübsch an, ich trug meistens ein buntes Kleidchen mit Rüschen und Tüll. Anne selbst sah richtig festlich aus in ihrem schwarzen langen Rock und der weißen Bluse. Ihr Kopftuch
nicht zu vergessen, das band sie natürlich auch immer um. In einer Moschee ist das für Frauen auch Vorschrift. Bevor wir loszogen, packte ich mir eine kleine Spieltasche zusammen. Ein Buch musste immer mit und Papier und Stifte zum Malen, manchmal auch ein Spiel, damit mir nicht langweilig wurde. Dann gingen wir zur Bushaltestelle gegenüber vom U-Bahnhof Bülowstraße, was nicht weit war. Die Moschee befand sich nur drei Stationen entfernt, in der Nähe des Kleistparks, in dem ich Jahre später Batu küssen sollte. Allerdings sah sie überhaupt nicht aus, wie man sich eine Moschee vorstellt. Ein mehrstöckiges Wohnhaus mit grauer Fassade, nicht besonders schön, und ein Minarett hatte sie auch nicht. Die Räume, die als Moschee dienten, waren sogar nur im Keller untergebracht.
    Der Raum, in dem die Vas abgehalten wurden, wirkte auf Klein Melda ziemlich groß. Nicht, dass ich jemals gezählt hätte, aber Anne meint, dass meistens um die fünfzig Frauen anwesend waren. Dazu bestimmt noch fünfundzwanzig Kinder, vom Babyalter angefangen. Während Anne der Hoca zuhörte, kritzelte ich auf

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