So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock
verstehen.
Ich treffe Basti zwei-, dreimal die Woche, meistens in einem kleinen Café in der Nähe unserer Schule. Wir reden
über alles Mögliche. Das ist das Gute an unserer Freundschaft: Wir können einander alles erzählen, ohne dass einer etwas Schlechtes vom anderen denkt. Wir akzeptieren uns, wie wir sind. Nicht wie bei den anderen Mädchen, die mich gleich verurteilen, wenn ich am Wochenende mal aus war und einen Cocktail getrunken habe. Natürlich weiß Basti auch von meinem Projekt bei der Türkischen Gemeinde und von den anderen Sachen, für die ich mich schon engagiert habe. Er ist ja selbst jemand, der gern für andere da ist und hilft. Allerdings fällt es ihm schwer zu verstehen, warum das, was ich für andere Schüler mit Migrationshintergrund versuche auf die Beine zu stellen, so wichtig ist. Es leuchtet ihm zum Beispiel nicht ein, warum junge Türken, die hier geboren wurden, Deutsch sprechen und wie alle anderen zur Schule gehen, extra motiviert werden müssen, danach auch eine Berufsausbildung zu absolvieren; dass dafür extra Projekte gestartet werden, die auch noch Geld kosten. Für ihn ist völlig selbstverständlich, dass man das macht, ob man nun Türke ist oder Deutscher oder irgendeiner anderen Nationalität angehört.
»Jeder ist für sich selbst verantwortlich«, sagt er immer. Ich versuche ihm dann zu erklären, dass es eben doch einen Unterschied macht, welcher Herkunft man ist. Die Eltern vieler Türken in meinem Alter haben selbst keinen vernünftigen Schulabschluss und auch keine Ausbildung, und sie sprechen schlecht oder gar nicht deutsch. Wie sollen sie da wissen, wie sie ihre Kinder fördern können? Und selbst wenn sie das wissen, können sie es meist nicht umsetzen, weil ihnen die notwendige Bildung fehlt. Ein Migrantenkind hat oft nicht mal jemanden, der bei den Hausaufgaben helfen kann. Dann noch das Problem mit
der Sprache. Viele lernen nicht einmal ihre Muttersprache richtig und Deutsch auch mehr schlecht als recht. Sobald sie merken, dass sie sich trotzdem irgendwie verständigen können, sehen sie noch weniger Grund, ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Das beginnt im Kindergarten und geht in der Schule weiter. Die meisten landen in Schulen, auf die fast nur Kinder von Migranten gehen. Also klappt es auch dort mit den rudimentären Sprachkenntnissen. Selbständiges Denken entsteht so jedenfalls nicht. Man macht immer schön brav, was einem vorgegeben wird, um nicht aufzufallen, damit die Schwächen nicht offensichtlich werden, schlängelt sich von Klassenstufe zu Klassenstufe, und wenn es zu kompliziert wird, müssen Spickzettel helfen. Ich sehe doch jeden Tag, wie es läuft. Wer von klein auf zu viel verpasst hat, kann das irgendwann auch nicht mehr aufholen.
Aber ich verstehe Basti auch. Man kann sich das schlecht vorstellen, wenn man nicht selbst drinsteckt. Und wenn man drinsteckt, ist es erst recht schwierig, weil einem dann die notwendige objektive Sichtweise fehlt. Im Grunde muss man erst ausbrechen, um seine Lage erkennen zu können. Damit meine ich vor allem, dass man Kontakt zu Menschen bekommt, die einem anderen Kulturkreis angehören, ein anderes Leben führen. Ich hatte das Glück, viele andere bekommen diese Chance nicht.
6.
Vertraue dir selbst
Bismillahirrahmanirrahim . Dieser Zungenbrecher war meine erste Begegnung mit dem Islam. Ich war ungefähr vier Jahre alt, als Anne damit begann, mir dieses schwierige Wort beizubringen. Sie wollte, dass ich es vor jeder Mahlzeit aufsagte. Tayfun und sie machten das immer so. Baba wahrscheinlich auch, aber der war selten dabei, wenn wir aßen. Mittags und abends war er meistens arbeiten, und morgens schlief er noch, weil er oft erst in der Nacht nach Hause kam. Wenn Anne mit uns Kindern am Tisch saß, sprach sie mir langsam Silbe für Silbe vor, und ich plapperte sie nach, soweit ich kam. Die ersten drei Silben - Bismil-lah - schaffte ich relativ schnell, für den Rest brauchte ich länger; es wird auch ganz anders ausgesprochen als geschrieben. Anne war trotzdem zufrieden mit mir. Vielleicht weil in unserer Religion allein der gute Wille schon zählt. Man braucht sich nur vorzunehmen, dem nächsten Obdachlosen, der einem begegnet, Geld zu geben, schon sammelt man Pluspunkte fürs Paradies. Und ich gab mir wirklich Mühe. Weil ich Anne nicht enttäuschen wollte, vor allem aber, weil Tayfun es schon draufhatte, und ich natürlich nicht schlechter sein wollte als er.
Bismillahirrahmanirrahim soll das erste Wort
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