So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock
weniger gebildete Muslime, die die Koranworte exakt so auslegen, wie sie auf dem Papier stehen, leiten daraus für Ehemänner ein Züchtigungsrecht gegenüber ihren Frauen ab.
Ich glaube, es war an einem Gericht in Frankfurt am Main. Dort berief sich sogar eine deutsche Richterin, die ein marokkanisches Ehepaar scheiden sollte, auf diesen Vers. Die Ehefrau wollte vor Ablauf des Trennungsjahres geschieden werden, weil ihr Mann sie mehrfach misshandelt und bedroht hatte. Das lehnte die Richterin ab und begründete es damit, dass die beiden nach den Vorschriften des Korans geheiratet hätten, und der sehe nun mal ein Züchtigungsrecht für Ehemänner vor, welches in Ländern wie Marokko auch praktiziert werde. Als ich das las, dachte ich nur: Bullshit! Wie kann eine deutsche Richterin nur so etwas behaupten?
Das Problem an der Koransprache ist, dass unheimlich viele Wörter nicht so klar definiert waren, wie das im modernen Arabisch oder in anderen Sprachen der Fall ist. Ein Beispiel: Das Wort Radjul , dass im heutigen Sinne für »Mann« steht, konnte früher, als der Koran verfasst wurde, auch für Ummah stehen, was wiederum »Gemeinschaft« bedeutet oder auch Menschen, die auf eigenen Füßen
stehen, also erwachsen sind. Oder nehmen wir das Wort Daraba . Es kommt im Koran an mehreren Stellen vor und hat fast jedes Mal eine andere Bedeutung. Mal steht es für »Gebet verrichten«, mal für »Kleider anziehen«, mal für »reisen«. Doch in manchen Übersetzungen der kritischen Sure wird es eben auch für den letzten Teil der dreifachen Steigerung, das »Schlagen«, verwendet.
Was ich damit erklären will: Vielleicht war das mit der Gewalt gegen Frauen ursprünglich tatsächlich so gemeint. Vielleicht aber auch nicht. Auf jeden Fall wäre es heute so oder so nicht mehr zeitgemäß. Und den Vers könnte man auch so übersetzen: »Die Frauen aber, deren antisoziales Verhalten ihr befürchtet, gebt ihnen guten Rat, überlasst sie sich selbst in ihren privaten Räumen und legt ihnen mit Nachdruck eine Verhaltensänderung nahe. Wenn sie aber eure Argumente einsehen, dann sucht keinen Vorwand, sie zu ärgern« - und so weiter.
Doch mit dem Inhalt des Korans beschäftigten wir uns erst viel später. Dafür hatten wir spezielle Lehrbücher, in denen auf verschiedene Koranverse verwiesen wurde, die dann aber übersetzt waren. Dabei brachten uns die Hocas auch bei, dass viele Verse falsch verstanden werden könnten. Für diesen Fall, so sagten sie, empfehle Gott, sich an den Taten des Propheten Mohammed ein Beispiel zu nehmen. Der habe nie seine Hand gegen eine seiner Frauen erhoben, obwohl unter ihnen angeblich auch ein ziemliches Biest war, frech und verwöhnt und mit einem schlechten Ruf im Dorf.
Durch die unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten, die der Koran an vielen Stellen bietet, lässt er sich leider auch ziemlich einfach missbrauchen - nicht nur was die
Beziehung zwischen Mann und Frau angeht, sondern auch in der Politik. Aber davon will ich gar nicht erst anfangen, dieses Thema ist mir zu heikel.
Im zweiten oder dritten Jahr an der Moschee-Schule, so genau weiß ich das nicht mehr, kamen zum Koranlesen noch allgemeiner Religionsunterricht, Türkisch und das Fach Siyer hinzu, in dem uns das Leben des Propheten Mohammed nähergebracht werden sollte. Im Jahr darauf wurden wir zusätzlich in Fikih unterrichtet. Dabei handelt es sich eigentlich um die islamische Rechtswissenschaft, doch die wäre uns Kindern wahrscheinlich zu kompliziert gewesen. Stattdessen brachten sie uns alles Mögliche über den Mensch und die Natur bei und wie das eine mit dem anderen in Verbindung steht.
Was den Menschen betrifft, da wurde es im Fach Ahlâk (»Moral«, »Sitte«), das uns später ereilte, noch um einiges detaillierter. Das Lehrbuch war das dickste von allen, es umfasste zweihundert DIN-A4-Seiten. Wir lernten unter anderem, welche Aufgaben wir als Mensch gegenüber Gott und dem Propheten zu erfüllen haben, gegenüber unserer Seele, unserem Herzen, dem Körper, ja selbst gegenüber unserem inneren Schweinehund.
Am interessantesten fand ich das Kapitel, in dem die Aufgaben von Mann und Frau in der Ehe behandelt wurden. Demnach ist der Mann für die Behausung der Familie zuständig. Er hat zu seiner Frau stets höflich zu sein, muss sie begrüßen und dabei fragen, wie es ihr geht, und er muss mit ihr ihr Leid teilen. Der Frau fallen ähnliche Aufgaben zu. Statt des Haushalts ist sie jedoch für die Kinder zuständig.
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