So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock
Überhaupt trägt sie als Beschützerin der Familie große
Verantwortung, wobei das Wort »Beschützerin« auch im übertragenen Sinne gemeint ist - als Bewahrerin der Familie. Und dazu gehört, dass sie sich, um ihrem Mann zu gefallen, sauber zu halten und ihn sexuell zu befriedigen hat. Aber das gilt auch für den Mann.
Mit dem Familienleben und der Erziehung von Kindern befassten wir uns auch in dem Fach, das Muamelât hieß. Das Wort bedeutet »Geschäft«, dabei ging es vielmehr um Aufklärung, und das in so ziemlich jeder Hinsicht. Uns wurde beigebracht, was nach muslimischer Vorstellung eine Ehe bedeutet, wie man sich darauf vorzubereiten hat, welchen Sinn eine Ehe erfüllen soll und welche Rolle sie in der Gesellschaft spielt. Die Aufgaben von Mutter und Vater innerhalb einer Familie waren ein Thema, und welche Bedürfnisse sie jeweils haben, welche Probleme in einer Ehe auftreten können, wirtschaftliche und zwischenmenschliche, was geschieht, wenn ein Ehepartner vernachlässigt wird, und was man gegen Beziehungskrisen unternehmen kann. Es ging weiter mit Kindermachen, Kinderkriegen, Kindererziehung. Zwischendurch wurden wir über Verhütungsmethoden aufgeklärt. Man kann sagen, alles in allem konzentrierte sich der Unterricht auf die Vermittlung einer Mischung aus biologischen Fakten und islamischer Gedankenwelt.
Das nächste Fach nannte sich Akaîd , was man mit »Glaube« übersetzen kann. In diesem wurden die sogenannten Wahrheiten des Glaubens durchgehechelt. Also: Es gibt nur einen Gott. Gottes Rechte. Das Jenseits. Himmel und Hölle. Der Prophet. Die Engel. Schicksal und Zufall. Dazu die wichtigsten heiligen Schriften, zu denen auch die Tora und die Bibel gezählt wurden.
Am liebsten mochte ich Sosyal Faaliyet (»soziale Unternehmungen«), doch das stand nur alle paar Wochen auf dem Unterrichtsplan. Wie die Übersetzung schon sagt, unternahmen wir dann immer etwas. Wir machten zum Beispiel einen Ausflug zu einer Bowlingbahn, oder wir gingen in einen Dönerimbiss und aßen Kumpir . Das sind große Kartoffeln, die in Aluminiumfolie gebacken und hinterher mit Joghurt, Ketchup, Mais, Oliven, Salatblättern oder Hommus garniert werden, je nachdem, wie man es am liebsten mag.
Das langweiligste aller Fächer, die wir hatten, hieß Hadis , womit die Aussprüche des Propheten Mohammed gemeint sind. Es beinhaltete sonst nichts weiter. Im Unterricht mussten wir jedes Mal neue Zitate aufschreiben, in der türkischen und in der arabischen Version, die wir dann beide zu Hause auswendig lernen sollten. Dabei hasse ich Auswendiglernen.
Wie interessant der Unterricht war, hing oft von den Hocas ab. Manche wurden extra aus der Türkei eingeflogen, um uns ihr Wissen zu vermitteln. Die meisten sprachen sehr offen mit uns, wirkten überhaupt nicht verbiestert oder übermäßig streng, wie das häufig in den Medien dargestellt wird. Sie erzählten uns nicht nur Geschichten vom Propheten Mohammed, sondern auch von dessen Frauen. Manchmal rissen sie sogar Witze. Und sie klärten uns über unsere Rechte auf, die wir als muslimische Frauen haben. Davon, dass wir uns von den Männern unterdrücken lassen müssten, war nie die Rede. Im Gegenteil, sie sagten, dass wir uns als Frauen auch wehren dürften. Ich glaube, besonders wichtig war ihnen, dass wir den Islam als eine Religion betrachten, die zuallererst für Frieden steht. Sie riefen uns
auf, uns nicht von den Menschen, die einen anderen Glauben haben, abzukapseln, und uns mit den Deutschen zu vertragen, sie gut zu behandeln, aber das hatte ich ja schon viel früher von ganz allein beschlossen.
Vieles hörte sich wirklich gut und richtig an. Doch je älter ich wurde, desto mehr Widersprüche entdeckte ich zwischen dem, was uns in der Moschee gesagt wurde, und dem, was sich in der Realität abspielte. Wie viele Frauen islamischen Glaubens werden von ihren Männern noch unterdrückt, sogar hier in Deutschland? Was ist mit den Söhnen in türkischen Familien, die wie Könige erzogen werden? Und wenn der Islam für Frieden stand, wie konnte dann geschehen, was am 11. September 2001 geschah?
Immer mehr Fragen geisterten mir durch den Kopf. Doch ich wagte es nicht, auch nur eine von ihnen im Unterricht laut auszusprechen. Auch keines der anderen Mädchen tat das. Vielleicht stellten sie sich auch nicht solche Fragen. Ihnen und mir war von den Hocas beigebracht worden, in einfachen Kategorien zu denken. Es gab nur richtig und falsch, schwarz oder weiß. Und was richtig war
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