So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock
meinem Papier herum, blätterte ein Buch durch oder schob die bunten Holzkugeln an meinem kleinen Rechengerät hin und her, das ich damals oft mit mir herumtrug. Hin und wieder spielte ich auch mit anderen Kindern in einem kleinen Nebenraum, oder wir liefen einfach im Treppenhaus herum. Ich erinnere mich nicht, dass ich ein anderes Kind besonders gern mochte oder viel Spaß gehabt hätte. Die Vormittage in der Moschee waren für mich aber auch keine Qual. Ich musste eben mit und versuchte, das Beste daraus zu machen. Meistens dauerte es drei Stunden, bis die Hoca mit ihrer Predigt fertig war, die bekam man irgendwie herum.
Trotzdem hatte die ganze Geschichte Auswirkungen, die für mich nicht unwichtig waren: Dadurch, dass ich Anne jedes Wochenende in die Moschee begleitete, war diese als Institution nichts Besonderes für mich. Sie gehörte von dieser Zeit an einfach zu meinem Leben. Als kleines Mädchen dachte ich nicht darüber nach, ob das gut war oder schlecht, es war halt so.
Vielleicht wäre das anders gewesen, hätte mich Anne gezwungen, jedes Mal ein Kopftuch umzubinden. Doch das brauchte ich in diesem Alter nicht, das kam erst später. So waren die Moscheebesuche für mich im Grunde nichts anderes, als wenn mich Anne mit zur Fahrschule nahm. Auch dort musste ich mich allein beschäftigen und still sein, solange sie Unterricht hatte. Nur, dass die Fahrschulzeit relativ schnell vorbei war, wogegen es mit der Moschee erst richtig losging.
Meine Unvoreingenommenheit gegenüber der Moschee verlor ich, als Anne und Baba beschlossen, dass ich nicht mehr wie bisher zum Spielen dorthin zu gehen hatte, sondern um mich von Hocas unterrichten zu lassen. Da war ich sieben, wahrscheinlich eher acht Jahre alt, ging in die erste Klasse der Grundschule und empfand es als lästige Pflicht, nun auch noch zweimal in der Woche zusätzlich die Schulbank drücken zu müssen. Wobei das mit der Schulbank sinnbildlich zu verstehen ist, denn in der ersten Zeit saßen wir in einem der Kellerräume der Moschee nur auf dem Fußboden, genauer gesagt auf einem Teppich, hinter einer türkisfarbenen Holzbank, die aus einem langen Brett und zwei Seitenteilen bestand und so niedrig war, dass unsere Beine anders gar nicht druntergepasst hätten.
Der Unterricht in der Moschee fand zu einer Zeit statt,
dass man ihn nicht wirklich mögen konnte: jeweils freitags von siebzehn bis neunzehn Uhr dreißig und samstags von zehn bis dreizehn Uhr dreißig. Doch obwohl dadurch ständig das Wochenende ruiniert wurde, gewöhnte ich mich nach einer Weile daran, einfach weil es in unserer Familie normal war. Immerhin ging Tayfun schon seit fünf Jahren dorthin. Anfangs hatten wir nur eine Hoca , weil wir auch nur in einem Fach unterrichtet wurden. Das nannte sich Kurân Dersi , Koranunterricht, und beinhaltete, dass wir lernten, den Koran zu lesen, im Original natürlich, denn jede Übersetzung bedeutet gleichzeitig eine Interpretation, die wahren Worte Allahs finden sich nur in der Originalfassung.
Das hieß also, ich musste erst einmal das Elif be lernen, das arabische Alphabet. Es sieht komplizierter aus, als es ist. Ich fand das gar nicht so schwer. Einfach eine sture Auswendiglernerei. Danach reihten wir Buchstaben für Buchstaben aneinander und lasen, was daraus entstand, erst drei Buchstaben, dann fünf und so weiter. Nicht viel anders, als würde man im Deutschen lesen lernen. Nur dass im Koran noch eine Vielzahl von Betonungszeichen hinzukommt, von denen man wissen muss, wie sie die Aussprache einzelner Buchstaben oder Silben verändern. Ich würde nicht behaupten, dass ich übermäßig fleißig war, trotzdem bekam ich es ganz gut hin. Was allerdings nicht bedeutete, dass ich auch nur einen Bruchteil dessen verstanden hätte, was ich da las. Keiner von uns Schülern verstand etwas.
Es ist aber auch eine Wissenschaft für sich, den Koran zu verstehen, selbst wenn man die alte arabische Sprache beherrscht, in der er geschrieben wurde. Seit hunderten
von Jahren streiten sich Gelehrte, was manche Passagen bedeuten sollen oder wie man sie auszulegen hat. Besonders eine Stelle, Vers 34 der vierten Sure, sorgt immer wieder für hitzige Debatten, nicht nur unter Muslimen. Darin heißt es, dass die Männer über den Frauen stehen, weil Gott sie von Natur vor diesen ausgezeichnet habe. Ein Stück weiter steht: »Und wenn ihr fürchtet, dass Frauen sich auflehnen, dann ermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie!« Vor allem Traditionalisten oder
Weitere Kostenlose Bücher