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So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock

Titel: So wie ich will - Mein Leben zwischen Moschee und Minirock Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melda Akbas
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gibt aber auch Abende, an denen sie Baba so lange im Ohr liegt, bis er ihr murrend die Fernbedienung überlässt. Das ist ein sicheres Zeichen dafür, dass Dienstag ist, weil da auf Kanal D ihre Lieblingsserie läuft, 1001 gece (»1001 Nacht«), die verpasst sie nur ungern.
    Wahrscheinlich kann man nun doch erahnen, wer bei
uns zu Hause eigentlich der Chef ist. Allerdings ist Anne sehr geschickt darin, Baba das Gefühl zu geben, er wäre es.
    Samstags wird das immer besonders deutlich, da ist Putztag. Während Anne durch die Wohnung wirbelt, bis alle Zimmer blitzen, als würde niemand darin wohnen, thront Baba auf seinem Platz vorm Fernseher, als würde ihn das alles nichts angehen. Für Hausarbeit fühlt er sich einfach nicht zuständig, das war schon immer so. Man kann die Tage, an denen er Anne hilft, die Einkäufe in den zweiten Stock zu schleppen, rot im Kalender anstreichen, so selten kommt das vor. Tayfun hat sich dieses ach so männliche Verhalten natürlich schon als kleiner Junge abgeguckt. Seine einzige Pflicht im Haushalt besteht darin, die Gardinen ab- und wieder aufzuhängen, wenn sie gewaschen werden. Aber das kommt nur alle halbe Jahr vor.
    So einfach kann ich mich nicht drücken, obwohl ich die Putztage hasse. In meinem Zimmerteil herrscht organisiertes Chaos, das finde ich praktisch und gemütlich. Anne allerdings sieht das völlig anders. Seit Jahren kriegen wir uns deswegen immer wieder in die Haare, weil sie meinen Stil partout nicht akzeptieren will. Sie flucht dann richtig, und wenn ihr kein Argument mehr einfällt, sagt sie: »Und so was nennt sich Mädchen!« Wahrscheinlich will sie damit an mein Gewissen appellieren, dabei ist das Durcheinander für mich wirklich besser, so finde ich wenigstens alles wieder. Manchmal droht Anne auch, was herumliegt, in einen Müllsack zu stopfen und aus dem Fenster zu werfen. Doch das würde sie niemals tun. Die Nachbarn könnten ja sonst was denken! Einen Nachteil hat meine Unordnung aber tatsächlich: Sie breitet sich auf wundersame Weise aus, was ich mir nicht so recht erklären kann. Als
würden meine Sachen manchmal Füße bekommen. Auf einmal herrscht auch nebenan, auf Tayfuns Territorium, Chaos. Dabei ist mein Brüderchen die Ordnung in Person, er lässt nie etwas herumliegen. Im Gegensatz zu unserer Mutter geht er damit jedoch völlig gelassen um, sammelt einfach alles, was mir gehört, auf und wirft es in meinen Bereich zurück. Damit ist das Problem für ihn erledigt. Guter Bruder.
     
    Falls ich Tante Zeynep heute noch treffen will, sollte ich schleunigst losdüsen. Wir sind in einem Café in der Nähe des U-Bahnhofs verabredet, keine fünf Minuten von hier. Um nicht noch einmal von Baba gestoppt zu werden, ziehe ich mir eine Jacke über und husche blitzschnell an der offenen Wohnzimmertür vorüber. Bei dem Tempo kann er mich höchstens zwei Sekunden gesehen haben, trotzdem spüre ich seinen strengen Blick noch draußen vor der Wohnungstür, als besäße er die Gabe, durch Wände zu gucken.
    Im Treppenhaus muss ich meine Geschwindigkeit sofort drosseln. In anderen Mietshäusern, das weiß ich von den Häusern, in denen meine Freundinnen wohnen, gibt es in den Treppenfluren Stufen und Geländer. Die gibt es bei uns auch, nur werden sie meistens in einen Hindernisparcours verwandelt, den man bewältigen muss, um nach unten und dann hinaus auf die Straße zu gelangen. Jeden Tag wird er neu gestaltet, von Nachbarskindern, die morgens gegen sieben von ihren Eltern rausgesetzt werden, erst abends wieder reindürfen und in der Zwischenzeit hier herumlungern. Heute haben sie Chipsreste verteilt, Überbleibsel von Salzstangen, eine offene Colaflasche, deren Inhalt auf mehreren Stufen einen klebrigen Film hinterlässt,
und Plastiktüten aus diversen Supermärkten. Irgendeine Systematik ist dabei nicht zu erkennen, man muss einfach nur aufpassen, wo man hintritt. Man sollte sich auch nicht von den Graffitis an den Wänden ablenken lassen. Sind ohnehin keine Kunstwerke. Eine neue Nachricht erhasche ich trotzdem: »Nihal ich liebe dich!«, prangt ein Stockwerk tiefer an der Wand. Schön für Nihal oder vielleicht auch nicht. Ich kenne keine Nihal, wahrscheinlich wohnt sie gar nicht hier.
    Als ich das letzte Hindernis, die Haustür, erreiche, sie gerade aufziehen will, versperrt mir die Frau aus der fünften Etage den Weg. Sie und ihre sechs Kinder, die hat sie immer dabei, wobei ich mich frage, wie sie die Bande auf der Straße oder in einem Geschäft unter

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