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So wie Kupfer und Gold

So wie Kupfer und Gold

Titel: So wie Kupfer und Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Nickerson
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Geschichte verlangte. Ich hatte mir ja vorgenommen, meinen Patenonkel aufzuheitern. Zur Erreichung dieses Zieles erschien es mir dringend notwendig, immer wieder sein Interesse zu wecken. Das konnte sowohl ermüdend als auch inspirierend sein. Ich konnte mir die Gemütsverfassung von Scheherazade vorstellen und fragte mich, wie lange ich durchhalten konnte, bevor meine Erfindungsgabe versiegen würde.
    Ich erlaubte meinem Patenonkel, meine Hand zu streicheln oder sie an seine Lippen zu führen, und stufte seine Zärtlichkeiten als »Französeleien« ein. Ich war nicht nur von ihm fasziniert, sondern mochte ihn wirklich, auch wenn manchmal etwas in seinem Blick war, bei dem mir unbehaglich wurde. Er konnte … gefährlich werden. Weshalb fiel mir wohl gerade dieses Adjektiv ein? Vielleicht weil es passte. M. Bernard glich einem Tiger – elegant, samtig, grinsend, gefährlich. Und überaus attraktiv.
    Â»Nach dem Essen wollen wir Musik hören«, verkündete er eines Abends. »Du reitest gut und spielst ganz annehmbar Schach. Jetzt will ich hören, wie du dich am Klavier anstellst.«
    Eine Stunde später setzte ich mich im Musikzimmer an das Instrument.
    Â»Habe ich Ihnen schon gesagt, dass das Klavier mir von allen Ihren großzügigen Geschenken eines der liebsten war?«
    Â»Und welche«, fragte er aus seinem mit strohfarbenem Satin bezogenen Sessel heraus, »waren deine anderen Lieblingsgeschenke?«
    Â»Lachen Sie nicht, aber das Schaukelpferd und die große Puppe liebe ich immer noch. Ich nannte sie Araby und Elodie. Seit ich kein Kind mehr bin, habe ich natürlich nicht mehr mit ihnen gespielt, aber ich bin ihnen immer noch zugetan. So etwas gibt es, müssen Sie wissen.«
    M. Bernards Lippen zuckten. »Oh, oui , so etwas gibt es.«
    Ich spielte ein paar Stücke von Beethoven, dann Schubert.
    Er applaudierte. »Bravo. Das Geld für deinen Unterricht war gut angelegt.« Er erhob sich und holte das Cello, das auf seinem Ständer in der Ecke stand. »Lass uns ein Duett versuchen. Du spielst gut genug, dass du mir folgen kannst.«
    Er hielt das Instrument zwischen den Knien. Der elegant geschwungene Hals lag neben seinem Kopf. Er hob den Bogen, hielt kurz inne und setzte ihn dann auf die Saiten. Die tiefen Töne ließen mich erschauern; es war fast ein Herzschmerz. Einen Moment lang konnte ich mich nicht rühren. Dann flogen meine Finger über die Tasten. Entweder ich harmonisierte seine variierenden Vorgaben oder erfand Begleitmelodien dazu. Wir spielten immer schneller; die Töne gingen durch meinen ganzen Körper.
    Eine Haarsträhne fiel M. Bernard in die Stirn und in seiner Konzentration zog er die Brauen zusammen. Seine breiten Schultern und der gesamte Oberkörper gingen mit jedem Bogenstrich mit.
    Manchmal spielte ich leicht und trillernd als Gegenpol zu dem kraftvollen Dröhnen der Saiten. Dann wieder klang sein Spiel neckisch und ausgelassen und ich folgte ihm.
    Während unsere Musik das Zimmer ausfüllte, war es, als seien unsere Seelen in atemlosem Rausch vereint. Er ließ die letzte Note verklingen und ich beließ die Finger auf den Tasten, erschöpft, aber euphorisch.
    Er erhob sich, legte den Bogen ab und lehnte das Cello an den Stuhl. Dann kam er entschlossen zu mir herüber. Er fasste mich an den Schultern, zog mich hoch und bog meinen Kopf nach hinten. Er beugte sich zu mir herunter und drückte seinen Mund auf meine Lippen, hart, leidenschaftlich, drängend. Die Hände hatte er in meinem Haar vergraben.
    Mein ganzer Körper reagierte. Ich war in seinem Bann, genauso wie die Musik mich in ihren Bann gezogen hatte. Ja, geschluckt hatte.
    Mir stockte der Atem. Das durfte nicht sein. Was tat ich da? Ich stieß ihn von mir. Er wankte ein paar Schritte nach hinten, und ich floh blindlings aus dem Zimmer.
    Sein Lachen folgte mir.
    Nachdem Talitha gegangen war, sackte ich völlig verunsichert an meiner Frisierkommode zusammen. Ich hätte nicht einmal sagen können, ob mir der Kuss gefallen hatte oder nicht. Er hatte gewaltige Emotionen geweckt, aber das hatte schließlich auch die Musik.
    Ich war M. Bernards Mündel, stand unter seinem Schutz. Obwohl ich mir in meinen Tagträumereien vorgestellt hatte, dass mein Patenonkel meine Zuneigung erwiderte, war diese Umarmung ganz gewiss unangemessen und sie beunruhigte mich. Ging es allen Mädchen so, wenn aus einer

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