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So wie Kupfer und Gold

So wie Kupfer und Gold

Titel: So wie Kupfer und Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Nickerson
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lag weit ab. Aber was, wenn Krankheit oder ein Unglück meine Geschwister getroffen hatten? Die Angst nagte an mir, während ich erneut an sie schrieb und inständig um Antwort bat.
    Als ich am Nachmittag zum Stall ging, um mit Lily auszureiten, wartete ein neuer Sattel auf mich. Er war aus geprägtem Leder mit einem Ranken- und Blumenmuster und mit Intarsien aus Perlmutt, Silber und leuchtenden Bernstein- und Granatsplittern. Mit einem solchen Sattel glich Lily der Stute einer Märchenprinzessin. Ich ritt zu einer Wiese – selbstverständlich gefolgt von Garvey –, wo ich anhielt und Blumen in Lilys Mähne flocht. Garvey beobachtete mich mit einem höhnischen Grinsen, aber ich hatte mir angewöhnt, ihn zu ignorieren.
    Ich führte mein Pferd zu der Veranda vor M. Bernards offenem Bürofenster und schlang die Zügel um einen Pfosten an der Balustrade. Dann lief ich ins Haus, um meinen Patenonkel zu bitten, sich Lily anzuschauen. Wenn er sah, wie ich sie zurechtgemacht hatte, wäre das für ihn ein Beweis, dass ich mich über sein Geschenk freute. Außerdem, so dachte ich, merkte er, dass ich mich von der peinlichen Situation am Vorabend erholt hatte.
    Das Büro war unverschlossen und leer. Bisher war es immer verriegelt gewesen, wenn M. Bernard oder Mr Bass nicht da waren. Ein gewaltiger Schreibtisch nahm die Mitte des Raumes ein.
    Die oberste Schublade stand offen. Ohne zu wissen, warum, lugte ich hinein. Sie war leer bis auf einen einzigen Umschlag, der genau in der Mitte lag. Die Ränder waren leicht vergilbt und der Name »Victoire« stand darauf. Ich nahm ihn heraus und blickte mich rasch um.
    Man las keine Briefe, die an andere adressiert waren.
    Los, öffne ihn. Diejenige, an die er gerichtet war, ist längst tot.
    Langsam zog ich das Blatt aus dem Umschlag. Ganz schwach hing noch der Duft eines Parfüms daran. Das Papier mit Muschelrand war hauchdünn.
    Liebste Victoire,
    wie dankbar bin ich, dass es eine vertrauenswürdige Person gibt, die diesen Brief deinen lieben Händen übergibt. Die braunen Blätter fallen eines nach dem anderen. Der goldene Sommer geht zu Ende. Doch wie süß war unser Weg mit Rosen bestreut, als wir ihn zusammen gingen.
    (Endlich! Ein Liebesbrief auf edlem Papier!)
    Nachdem de C. mir gekündigt hatte, habe ich rasch eine neue Stelle gefunden. Ich habe jetzt eine Wohnung, die zwar nicht so elegant ist wie das, was du gewohnt bist, in der du aber glücklich sein wirst, wie ich hoffe.
    Liebste, ich finde keine Ruhe, solange ich nicht bei dir ruhen kann. Du MUSST diese Person verlassen, die nur noch auf dem Papier dein Ehemann ist. Der Mann deiner Seele bin ich. Ich liebe dich heiß und innig.
    Lass mich über dieselbe vertrauenswürdige Person wissen, was ich tun muss. Sag mir, wann ich dich gefahrlos wegholen kann. Ungeduldig erwarte ich deine Antwort.
    Adieu.
    Dein dich liebender
    C.G.
    Der Nachname war Gregg, hatte Ducky gesagt. Er konnte gefühlvolle Liebesbriefe schreiben, das musste man ihm lassen. Ob er einige Stellen aus einem Buch abgeschrieben hatte?
    Victoire war also gegangen. Sie hatte M. Bernard verlassen. Ducky hatte sie danach nur noch ein Mal gesehen. Vielleicht hatte Victoire Mr Gregg Kinder geboren, die den Schmerz über den kleinen Anton etwas gemildert hatten. Möglich, dass sie jetzt in einem gemütlichen Häuschen wohnte, das voller Leben war. Aus irgendeinem Grund bezweifelte ich das jedoch. Dem Brief schien etwas Tragisches anzuhaften.
    Für meinen Patenonkel war es natürlich eine Tragödie gewesen. Der arme, arme Mann. Wie schrecklich, dass M. Bernard den Brief so aufbewahrt hatte, dass er immer greifbar war. Dass er ihn immer wieder lesen konnte. Weshalb? Weshalb tat er sich so etwas an?
    Ich grübelte noch darüber nach, als ich ganz in der Nähe Stimmen hörte. Eilig steckte ich das Blatt in den Umschlag zurück und legte ihn in die Schublade. Wie sollte ich erklären –
    Â»Wie können sie es wagen?« Es war die Stimme von M. Bernard. Sie kam von der Veranda vor dem Fenster und war voller Wut. »Direkt hier in der Abtei.«
    Â»Vielleicht ist es ja gar nicht der Kerl, von dem ich in der Stadt gehört habe«, meinte Mr Bass zögernd.
    Â»Ha!«, schnaubte M. Bernard. »Glauben Sie wirklich, dass es einen zweiten einbeinigen Schreiner gibt, der früher Seemann war und sich jetzt auf Plantagen verdingt?« Es entstand eine kurze

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