So wie Kupfer und Gold
war weg. Ich rannte in den Wald, was die Beine hergaben.
Ich brach durch ein Dickicht und fand mich umgeben von so dicht stehenden, knorrigen Bäumen, dass nur ein ganz schwacher Lichtschimmer durch die Kronen drang.
Ich war allein. Ich war allein in der Natur!
Odette rief nach mir, doch ich lief immer tiefer in den Wald hinein. Ich war nicht dumm; ich hielt die Augen offen nach den Fallen, die laut Garvey hier aufgestellt waren, wie auch nach giftigem Efeu. Doch ich lieà mich einfach nicht über Gebühr ängstigen.
Was war dieses ungewohnte Gefühl? Heiterkeit. Es war Heiterkeit und Wohlbehagen. Als sei ich nach langer Abwesenheit nach Hause zurückgekehrt. Ich pflückte einen zarten Farnwedel und steckte ihn in meine Tasche. Später wollte ich ihn zwischen den Seiten eines Buches pressen.
Ich überquerte einen breiten Bach, indem ich vorsichtig von einem Trittstein auf den nächsten balancierte. In seinem gurgelnden, lachenden Plätschern schien etwas Reines und durch und durch Gutes zu liegen. Kein Wunder war man in den alten Legenden frei von allem Bösen, nachdem man flieÃendes Wasser überquert hatte. Der Wald roch erdig und moosig und nach Verwesung, aber auf eine saubere, natürliche Art. Vögel trällerten und Eichhörnchen huschten umher.
Hier konnte ich nachdenken. Hier konnte ich die Ereignisse der vergangenen Monate Revue passieren lassen.
Ich war auf dem besten Weg gewesen, mich zu verlieren. Ich musste zusehen, dass ich Sophie blieb. Zum Glück war i ch nicht mehr vernarrt in meinen Patenonkel. Gott sei Dank war mein Selbstwertgefühl von einer liebevollen Familie gestärkt worden, sonst hätte seine dominante Persönlichkeit meine vielleicht vollkommen ausgelöscht. Ich schämte mich, als ich erkennen musste, dass ich hier im Lauf der Zeit einige meiner Prinzipien hatte schleifen lassen.
»Ach, Anne«, flüsterte ich. »Was soll ich nur machen?«
Es war keine Frage, dass ich ohne Aufsichtsperson nicht bei M. Bernard leben sollte. Meine Familie hätte mir nie erlaubt hierherzukommen, wenn bekannt gewesen wäre, dass er Witwer war. In mir stieg Panik auf, als ich an das Rütteln an meiner Schlafzimmertür dachte.
Und dennoch â ich hatte eine Ahnung von seiner Verletzlichkeit bekommen, von seinem Schmerz. Er hatte viele Schicksalsschläge hinnehmen müssen. Alle, die ihm etwas bedeuteten, hatten ihn auf die eine oder andere Art verlassen. Ich konnte ihn jetzt nicht im Stich lassen. Er hatte versprochen meine Ehre zu schützen. Er hatte mir sein Wort darauf gegeben. Den gröÃten Teil der Zeit, die wir miteinander verbrachten, genoss ich immer noch. Er war intelligent und interessant und groÃzügig und konnte einfühlsam und freundlich sein. Er besaà alle Voraussetzungen, ein groÃartiger Mensch zu sein, wenn seine noble Seite gefördert wurde. Ich konnte ihm helfen, der Gentleman zu werden, der er sein sollte.
Und ich konnte ja auch noch einen Stuhl unter die Türklinke schieben, falls ich diese Sicherheit brauchte.
Die Schatten wurden länger. Ich musste umkehren.
Ich hatte keine Mühe, meinen Weg aus dem Wald heraus zu finden. Eine Art sechster Sinn führte mich zwischen den Bäumen hindurch.
Odette lehnte wie ein Häufchen Elend an einer niederen Backsteinmauer nicht weit vom Waldrand entfernt. Fast tat sie mir leid.
Sie hob den Kopf, als ich näher kam.
»Passen Sie auf«, begann ich, »Sie verstehen genau, was ich sage, können das Theater also sein lassen. Sie können meinem Patenonkel alles petzen, aber wenn Sie das tun, mache ich Ihnen das Leben noch schwerer. In gewissen Abständen muss ich allein in den Wald gehen. Wenn Sie mit einer Näharbeit oder sonst etwas hier bei dieser Mauer warten, verspreche ich, dass ich innerhalb von zwei Stunden zurück bin und darauf achte, dass meine Kleider sauber bleiben. Eine Pause für mich, weniger Arbeit für Sie. Was sagen Sie dazu? Waffenstillstand?«
Sie betrachtete mich in meiner ganzen Zerzaustheit. Dann kickte sie kräftig gegen die Mauer, um einen Dreckklumpen von ihrem schweren Stiefel zu lösen. » Très bien, Mademoiselle .«
Kapitel 17
KOMMT JETZT HERAUS
»Ich reise heute ab«, verkündete M. Bernard wenige Tage später. »Ich muss ein paar Wochen wegbleiben. Wie versprochen, sollst du auf meine Schlüssel aufpassen.«
Er hielt mir den eisernen Ring hin und ich
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