So wie Kupfer und Gold
Ich hielt die Miniatur meiner Mutter hoch in Ehren. Nie wäre ich ohne sie weggegangen. Victoire hatte sich bei der ersten Gelegenheit, die sich ihr bot, davongeschlichen und konnte nicht viel mitnehmen. Vielleicht war sie ja deshalb zurückgekommen, als Ducky sie gesehen hatte. Aber zu diesem Zeitpunkt waren alle ihre Sachen schon hier oben gewesen.
In einer Truhe lagen Jungenkleider und Spielzeug â eines kleinen Jungen, der kaum dem Gängelband entwachsen war. Anton. Etwas besonders Tragisches haftete dem Plüschhund an, den man sorgsam zwischen die Kleider gesteckt hatte und dessen Fell vom vielen Schmusen fast abgeschabt war. Wie einsam es ohne Anton für ihn sein musste.
Victoire hätte ihren Mann nicht für einen anderen verlassen dürfen â daran gab es keinen Zweifel â, aber wer wusste schon, welches Loch sich bei dem grauenhaften Tod ihres Sohnes in ihrer Seele aufgetan hatte. Und wer wusste schon, wie groà das Loch war, das zu dieser Zeit in M. Bernard geklafft hatte?
An Taras Truhen waren Messingschilder, in die ihr Name eingraviert war. Vorsichtig befühlte ich ihre Sachen. Sie hatte sich erstochen. Ein furchtbarer Schmerz hatte sie so in seiner Gewalt, dass sie ihrem Leben ein Ende setzte. Vielleicht haftete ihren Sachen noch etwas von diesem Gefühl an.
Tatianas Truhe enthielt zwischen ihren Sachen auch eine Säuglingsausstattung. Alles war wunderschön bestickt, wahrscheinlich von der werdenden Mutter.
Bei Adeles Gepäck war der Name â wie nicht anders zu erwarten â in die Holzbeschläge geritzt.
Ich hielt Kleider aus teuren Stoffen und Unterwäsche mit feinster Spitze aus den letzten drei Jahrzehnten in den Händen, Bücher und Erinnerungsstücke, Skizzenbücher und Haarbürsten und Kämme mit Griffen in Silber und Marmor, Elfenbein und Schildpatt. Ich fand Tanzschuhe, die ihren letzten Tanz getanzt hatten, bestickte Täschchen und Federfächer, Bänder und Hauben sowie getrocknete Blüten, die zerfielen, wenn ich sie berührte. Schmuck fand ich keinen. Dass der vernichtet wurde, hatte mein Patenonkel wohl nicht angeordnet. War es möglich, dass jetzt ich einige der Juwelen besa� Tagebücher oder Briefe gab es auch nicht. Die hatte er möglicherweise selbst verbrannt. Dabei mochte er Victoires unerlaubte Liebesbriefe entdeckt haben.
Alle seine Frauen waren recht jung gewesen, alle verwöhnt mit (für ihre jeweilige Zeit) modischer Kleidung, alle rothaarig, doch alle verrieten in ihren Besitztümern individuelle Züge. Tatiana mochte Katzen. Sie besaà ein paar kleine geblümte Porzellankatzen und ein Bild von Kätzchen, die mit einem Garnknäuel spielten. Ich hoffte, dass sie sich ihrem Ehemann widersetzt und einen Vorgänger von Buttercup adoptiert hatte. Adele, erst seit eineinhalb Jahren tot, hatte Gedichte gemocht. Unter ihren Sachen waren mehrere Gedichtbände auf Französisch. Aus einem der Bücher fiel ein getrockneter Farnwedel. Zwischen Victoires Sachen lagen jede Menge Andenken aus fernen Ländern â sie war mit M. Bernard gereist. Tara dagegen musste eine begeisterte Reiterin gewesen sein. Zu ihrer Ausstattung gehörten nicht weniger als vier Reitkostüme.
Als ich ihr Parfüm roch und die Gegenstände berührte, die auch sie berührt hatten, erfasste mich keine Melancholie, weil sie tot waren â zumindest alle auÃer Victoire. Stattdessen empfand ich eine wachsende Zuneigung. Ich hätte diese Frauen gemocht. War ich so einsam, dass ich meine Freunde unter den Toten suchen musste?
Das Leben von vier Frauen war in diesen Kisten eingeschlossen.
»Ihr könnt jetzt herauskommen«, sagte ich laut. Meine Worte schienen die staubige Luft aufzuwirbeln.
Schaut her , würden sie sagen, wenn sie mich beobachten könnten, sie mag mein Bild. Sie weiÃ, wie ich ausgesehen habe. Sie liest mein Buch. Jetzt streicht sie über mein grünes Kleid. Ich bin ihr nicht gleichgültig.
Ich richtete mich erschrocken auf, als ich einen flatternden Schatten bemerkte und es kurz und dumpf an eines der Fenster klopfte. Nur ein Roter Kardinal, der gegen die Scheibe geflogen war. Ich lugte hinaus, weil ich wissen wollte, ob ich von hier aus auf den Friedhof sehen konnte, doch die Gartenmauer war zu hoch und die Dachneigung zu flach, um darüberschauen zu können. Ich hätte gern Blumen auf ihre Gräber gelegt. Ich hatte den Schlüssel ⦠Aber
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