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So wie Kupfer und Gold

So wie Kupfer und Gold

Titel: So wie Kupfer und Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Nickerson
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war wieder »Adele« eingeritzt. Die vierte Frau meines Patenonkels musste die Angewohnheit gehabt haben, sich überall zu verewigen. Und ja, der Schreibtisch hätte gut aus meinem Zimmer stammen können. Sonst war nichts Besonderes in dem Raum. Falls Odette etwas hatte mitgehen lassen, war es klein gewesen.
    Ich zuckte mit den Schultern. Vielleicht würde ich mir später Gedanken darüber machen, ob meine Zofe eine Diebin war. Vielleicht würde ich Monsieur später meinen Verdacht mitteilen und wäre sie dann los. Doch im Augenblick konnte ich es noch nicht tun. Ich fühlte mich als unfreiwillige Komplizin von Odette, weil sie meinen Streifzug durch den Wald nicht verraten hatte.
    Als ich die schmale Speichertreppe hinaufstieg, schlug mir der Gestank von Mäusen entgegen – und noch ein anderer Geruch, den ich nicht kannte.
    Der Dachboden war düster und verdreckt. Durch die schmutzigen Mansardenfenster drang kaum Licht. Von den unteren Balkenabschnitten, da, wo das Dach fast bis zum Boden reichte, hingen schwarze Stofffetzen herunter. Fledermäuse. Daher rührte der andere Geruch. Reglos hingen sie da und kümmerten sich um ihre Fledermausangelegenheiten.
    Ich bahnte mir einen Weg zwischen verrosteten Vogelkäfigen hindurch, zwischen Sofas, bei denen die Füllung herausquoll, alten Kommoden und Waschtischen. Wie viel Spaß hätten Anne und ich früher hier gehabt. Wir hätten uns Häuser gebaut und uns verkleidet.
    Ich umrundete einen mit einem Laken abgedeckten Berg und trat fast auf ein auf dem Boden liegendes Porträt. Eine rothaarige Frau lachte zu mir herauf. Offenbar hatte es an der Wand gelehnt und war umgefallen. Der Rahmen hatte einen Riss. Mein Herz hämmerte und ich brauchte eine Sekunde, um mich zu beruhigen. Dann lehnte ich das Bild an eine Truhe und betrachtete es.
    Wer war sie? Welche der Ehefrauen? Sie war im Stil des letzten Jahrzehnts gekleidet. Sie musste eine von ihnen sein. Mit einem schelmischen Ausdruck, als sei die ganze Welt ein Spaß, stand sie neben einem Pferd. Ich konnte raten. Ich tippte auf Tara. Tara mit dem hitzigen Temperament, die bei Auseinandersetzungen mit ihrem Mann mit Vasen um sich warf. Ja, irgendwie war ich mir sicher. Der Selbstmord.
    Dann … waren auch Bilder der anderen Frauen hier oben? Ich lugte hinter Gemälde, die an den Wänden lehnten. Bei den meisten handelte es sich um Landschaften und Stillleben, die aus dem einen oder anderen Grund auf dem Speicher gelandet waren – verblichen, ein Riss in der Leinwand, ein zerbrochener Rahmen. Ducky, die »Verschwendung« nicht ertrug, hatte sie hier heraufgeschafft. Aber es mussten noch drei weitere Bilder hier oben sein. Weil M. Bernard den Anblick nicht ertragen konnte, hatte er Anweisung gegeben, sämtliche Spuren seiner verstorbenen Frauen auszulöschen. Die Menschen, die ich kannte und die um jemanden getrauert hatten, hatten genau das Gegenteil getan – sie hatten ihre Erinnerungen wie einen Schatz gehütet.
    Ich fand sie.
    Die atemberaubend schöne Victoire hielt ein schlankes, dunkelhaariges Kind – es musste Anton sein – auf dem Schoß. Da stand Tatiana im Obstgarten. Aufgrund der für slawische Völker typischen hohen Wangenknochen und der leicht schräg stehenden Augen nahm ich an, dass sie es war. Und die letzte musste Adele sein, blass und hohlwangig, die großen Augen voller Melancholie.
    Alle hatten sie Haar, das als rot bezeichnet werden konnte, auch wenn die Rottöne ganz unterschiedlich waren. Es reichte vom pastelligen Rotgold von Aprikosen über dunkles Kastanienbraun und helles, rötlich schimmerndes Blond bis zu dem intensiv leuchtenden Rot, wie es am Rand schwelender Kohlen flackerte.
    Ihre Gesichter zu sehen, verstärkte nur meinen Wunsch, mehr über diese Frauen zu erfahren, die ich in diesem Moment als meine Schwestern ansah. Victoire, Tatiana, Tara und Adele.
    Ich wühlte in Truhen und warf die Deckel zu, wenn der Inhalt aus grauer Vorzeit war. Vor ungefähr fünfundzwanzig Jahren – das mochte Victoires Zeit gewesen sein. Ich fand drei Truhen, von denen ich annahm, dass es ihre waren. Die Kleider darin hatten die breiten Schultern und Kragen der 1830-er Jahre. Als ich sie herausnahm, verströmten sie einen moschusartigen, exotischen Duft. Ich entdeckte ein kleines Porträt in einem silbernen Rahmen von einer Frau aus den ersten Jahren des Jahrhunderts. Victoires Mutter?

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