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So wie Kupfer und Gold

So wie Kupfer und Gold

Titel: So wie Kupfer und Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Nickerson
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damit er mein Gesicht nicht sehen konnte. »Ich denke, Sie können sicher sein.«
    Am Nachmittag brachte mir Talitha fünf Briefe von meiner Familie. Sie waren alle in den letzten sechs Wochen geschrieben worden. In einem klagte Junius wegen zahlreicher Probleme, tat aber so, als stünde er über den Dingen. Drei waren von Anne. Sie schrieb eine Menge Firlefanz und neckte mich wegen der zahllosen Vergnügungen, denen ich mich, wie sie vermutete, hingab. Harry ließ sich in seinem Brief ausgiebig über seine Eskapaden aus.
    Alle drei Geschwister gaben Anlass zur Sorge, auch wenn Harry der Einzige war, der nichts zu verschleiern versuchte. Ganz unverhohlen berichtete er von seinen Schandtaten. Er lernte neumodische Tänze und gab mit dem Pferd an, in das er »investiert« hatte. Jemand mit so beschränkten Mitteln wie mein Bruder hätte besser nicht in etwas investiert, das fressen musste und jederzeit sterben konnte. Aber Harry hatte Besonnenheit schon immer gehasst.
    Mein Patenonkel hatte mir diese Briefe wochenlang vorenthalten, während ich fast krank wurde vor Sorge um meine Familie. Er wollte, dass es nur ihn für mich gab.

Kapitel 16
    DER WALD
    Die Szene auf M. Bernards Wandteppich wollte einfach nicht so werden, wie ich sie mir vorstellte. Ich hatte eine Landschaft mit ausgelassenem Treiben im Kopf und leuchtende, helle Farben. Ich biss mir beim Sticken auf die Lippe. Das Stickgarn, das mein Patenonkel für mich gekauft hatte, war dunkler und gedeckter, als ich es mir gewünscht hatte. Das Grün des Hintergrunds war so düster, dass es fast schwarz wirkte, und die blassen Blumen wurden von der Umgebung verschluckt.
    Wir saßen in der Bibliothek. Ich steckte die Nadel in das Leinengewebe und wandte mich dem Feuer im Kamin zu. Ab und an bogen sich die Flammen zur Seite, wenn eine besonders heftige Windböe den Kamin herunterfegte.
    Ducky hatte erwähnt, dass mein Patenonkel launisch sein konnte. Damals hatte ich ihn noch nicht so erlebt, inzwischen schon. Wenn er verärgert oder gelangweilt oder frustriert war, wurden seine Lippen schmal, die Augen verengten sich und glitzerten ganz und gar unsympathisch. Noch nie war jemand so grob mit mir umgesprungen wie er am Tag zuvor. Ich wusste ja, dass er eine schmerzvolle Vergangenheit hatte und man einige seiner Worte und Handlungen damit entschuldigen musste, aber dennoch …
    Er hatte meine Briefe in voller Absicht zurückgehalten. Mich von allen, die ich liebte, zu trennen, war kein Versehen. Ich zitterte.
    Sofort fragte er besorgt: »Was ist, ma caille ?«
    Ich muss eine Möglichkeit finden, andere Leute kennenzulernen.
    Ich setzte mich ihm gegenüber. »Ich habe nur überlegt, ob ich sonntags vielleicht zum Gottesdienst gehen könnte.«
    Er drehte sein Bordeauxglas am Stiel um und um und beobachtete die Flammen, die sich in dem geschliffenen Kristall spiegelten. Er tat dies so hingebungsvoll, dass ich mich fragte, ob er mich überhaupt gehört hatte.
    Ich wollte die Frage gerade wiederholen, als er sagte: »Ich glaube nicht.«
    Â»Ich weiß, dass Sie sich nichts aus Religion machen, aber ich könnte ja alleine hingehen.«
    Â»Ich habe Nein gesagt.« Aus seiner Stimme und seiner Miene sprach völliges Desinteresse.
    Ich biss die Zähne zusammen, damit ich ihn nicht mit einer scharfen Bemerkung aus seiner Langeweile riss. Mich störte, wie oft ich bei M. Bernard mein Temperament zügeln musste. Zu Hause in Boston hatte ich gar nicht gewusst, dass ich wütend sein konnte.
    Er schüttelte sich. »Hör mal! Hörst du den Donner in der Ferne grollen? Das Gewitter wird noch vor dem Morgen hier sein.«
    Das Unwetter brach gegen Mitternacht los. Ein gewaltiges Krachen weckte mich. Die Fensterscheiben klirrten und Zweige peitschten gegen die Mauern. Vom Wind herumgewirbeltes Laub blieb an den Scheiben kleben und der Regen trommelte wie eine Million Fäuste. Ich kuschelte mich in meine Decken. Solange ich in Sicherheit war, fand ich Unwetter wunderbar.
    Doch dann hörte ich andere Geräusche: Schritte, die vor meiner Tür innehielten, das Drehen des Türknaufes. Die Stimme meines Patenonkels – leise, drängend – »Sophia, Sophia.« Und dann lauter: »Sophia!«
    Ich zog die Laken bis hoch zum Kinn aus Angst, er könnte mein Herz hämmern hören.
    Er versuchte es noch einmal am Türknauf, einen Moment lang war alles still, dann

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