So will ich schweigen
geändert. »Na ja, irgendwann wirst du mit ihm reden müssen. Wenn du willst, kann ich mitgehen – zu euch nach Hause oder ins Büro.«
»Nein!« Panik ließ Juliets Stimme anschwellen. »Ich kann nicht mit ihm reden. Noch nicht. Nicht, bevor ich mir überlegt habe, was ich machen will. Die Kinder, das Haus … Wie kann ich denn …?«
»Jules«, unterbrach er sie sanft, »du wirst ja wohl nicht behaupten wollen, dass der gegenwärtige Zustand gut für die Kinder ist.«
»Nein, aber … ich sehe einfach keine anderen Möglichkeiten.« Inzwischen war es angenehm warm im Auto, und sie hatte den Kragen ihrer Jacke losgelassen. Dafür fingerte sie nun nervös an einem losen Knopf herum.
»Du sagst Caspar, dass er ausziehen soll. Dann besorgst du dir einen Anwalt und reichst die Scheidung ein.«
Juliet schnappte nach Luft, als hätte sie einen Schlag in den Solarplexus bekommen.
»Das ist nun mal die Konsequenz von all dem, Jules. Es sei denn, du denkst, dass man mit Eheberatung oder irgendeiner Art Vermittlung …«
»O Gott, nein.« Sie lachte bitter auf und rieb sich die Augen. »Caspar und Eheberatung? Eher würde er sterben.«
»Dann …«
»Du denkst, das ist alles so verdammt einfach, wie?« Zum ersten Mal sah sie ihn richtig an und sagte: »Dann erzähl mir doch mal, wie ich meine Kinder allein ernähren soll.«
»Deine Firma …«
»Ich schaffe es ja nur mit Müh und Not, meine Leute zu bezahlen und den Kopf über Wasser zu halten. Wenn dieser Auftrag erledigt ist, könnte vielleicht ein bisschen was übrig bleiben, aber wir sind ohnehin schon im Verzug, und jetzt …«
»Das Zauberwort heißt Alimente, Jules.« Kincaid riss allmählich der Geduldsfaden. »Caspar wird seinen Beitrag zum Unterhalt der Kinder leisten müssen. Das ist ja wohl selbstverständ…«
»Du verstehst das nicht. Du kennst ihn nicht. Er wird irgendeinen Weg finden, sich da rauszumogeln. Nur weil du dich anständig verhältst, kannst du nicht davon ausgehen, dass andere Väter es genauso machen.« Dann, als schämte sie sich für ihren Ton, sackte sie plötzlich in ihrem Sitz zusammen und legte die Hand auf seinen Arm. »Es tut mir leid«, sagte sie. »Das war nicht fair. Und ich hab dir nie gesagt, wie ich mich für dich gefreut habe – wie stolz ich auf dich war wegen allem, was du für Kit getan hast. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, dich um deine Vollkommenheit zu beneiden, um zu erkennen, dass das alles keineswegs selbstverständlich war.«
Kincaid sah seine Schwester verblüfft an. Was hatte er denn getan, dass sie auf die Idee kam, er sei vollkommen? War das der Grund, weshalb sie immer so wütend auf ihn zu sein schien?
»Ich war so naiv zu glauben, alle Männer wären so wie du und Papa. Manchmal denke ich, dass es eine schlechte Vorbereitung auf das wirkliche Leben ist, wenn man in einer so ›normalen‹ Familie aufwächst. Aber du – deine Erfahrungen können doch nicht so viel anders sein als meine. Wie machst du das eigentlich? Wie schaffst du es, dass solche Sachen wie der Fund eines mumifizierten Babys einfach an dir abprallen?«
»So ist es ja nun auch wieder nicht«, entgegnete er verletzt. »Es geht nicht darum, alles an sich abprallen zu lassen. Man lernt eben einfach … die Dinge voneinander zu trennen. Man
sieht es als ein Problem, für das man eine Lösung finden muss, und es gefällt mir, zu wissen, dass ich konkret etwas tun kann.« Was er ihr verschwieg, war, wie oft die Grenzen sich verwischten, wie oft das Grauen auch in den Alltag hinüberschwappte – ganz besonders, seit Gemma und die Jungs in sein Leben getreten waren.
»Also geht es um Macht. Ist es das? Du siehst dich wohl gerne als ein Werkzeug der Gerechtigkeit?« Sie provozierte ihn schon wieder, und ihre Zerknirschung von vorhin schien wieder vergessen.
»Nein.« In seiner ersten Zeit bei der Polizei hätte er wohl zugeben müssen, dass an ihrer Einschätzung etwas Wahres dran war. Aber heute gab es einfach zu viele Tage, an denen die Niedertracht und die Engstirnigkeit der Menschen, mit denen er zu tun hatte, ihn zu überwältigen drohten; Tage, an denen er sich Mühe geben musste, den kleinen Funken Menschlichkeit in dem ganzen Abschaum noch zu erkennen.
Juliet musste die Mattigkeit in seiner Stimme gehört haben, denn nach einem kurzen Blick wandte sie sich wieder von ihm ab. Während er den Wagen durch den Kreisverkehr lenkte, ließ er sich die Worte seiner Schwester durch den Kopf gehen und überlegte, wie er am
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