So will ich schweigen
Tür trat und sie hinter sich zuzog.
»Ich heiße jetzt Lebow«, erklärte die Frau, was ihr Zögern von vorhin erklärte. »Ich habe wieder meinen Mädchennamen angenommen.«
Althea, die sich nicht sicher war, ob das ein Anlass für Glückwünsche oder Beileidsbekundungen war, nickte nur. »Bitte, fahren Sie fort.« Der klare blaue Himmel der letzten Tage war jetzt von grauen Wolkenfetzen verhüllt, passend zur Farbe des Schneematschs auf dem Boden, und die Kälte begann durch ihren dicken Pullover zu dringen.
»Ich bin gekommen, um Sie um einen Gefallen zu bitten«, sagte Lebow und hüllte sich fester in ihre Fleecejacke, als stellte sie sich auf einen längeren Aufenthalt ein. Und dann erzählte sie Althea, was sie von ihr wollte.
»Ich sehe nicht ein, wieso ich mir das antun muss.« Juliet Newcombe klang so trotzig wie eine Zehnjährige, die zu einem Krankenbesuch bei einer ungeliebten Tante geschleift wird.
Kincaid nahm die Augen lange genug von der Straße, um einen kritischen Blick auf seine Schwester zu werfen, die neben ihm auf dem Beifahrersitz von Gemmas Escort saß. Es schien ein grauer und unangenehm kalter Tag zu werden, und obwohl sie schon die Hälfte der Strecke nach Crewe hinter sich hatten, war es im Wagen noch nicht merklich wärmer geworden. Juliet hielt ihre Jacke am Kragen zu, und es schien, als wolle sie sich damit vor mehr als nur der kalten Luft schützen, die aus den Lüftungsschlitzen strömte. Jetzt wandte sie das Gesicht ab, doch er hatte die dunklen Schatten unter ihren Augen schon gesehen.
Als er sie mitnahm, hatte er sich damit gerechtfertigt, dass er mit seiner Schwester reden müsse – was auch stimmte. Allerdings fürchtete er, dass Gemma ihn gut genug kannte, um zu ahnen, dass er auch neugierig war, welche Fortschritte die örtliche Polizei bei der Identifizierung der mumifizierten Kinderleiche gemacht hatte.
Jetzt sah er noch einmal zu Juliet hinüber, die weiterhin unversöhnlich vor sich hin starrte, und sagte in vernünftigem Ton: »Es ist reine Routine, das habe ich dir doch schon gesagt. Und da du sowieso nicht weiterarbeiten kannst, solange die Polizei den Fundort nicht freigegeben hat, ist es doch nur in deinem Interesse, dich möglichst kooperativ zu zeigen.« Dann fiel ihm ein, dass seine eigentliche Absicht ja war, sie zum Reden
zu bringen, und er fügte hinzu: »Sieh mal, ich weiß doch, dass du im Moment eine schwierige Zeit durchmachst mit Caspar. Wenn ich irgendetwas tun …«
Sie schüttelte so heftig den Kopf, dass sich ein paar Strähnen ihres dunklen Haars aus der Spange lösten. Als sie antwortete, schien jedes ihrer Worte mit wilder Entschlossenheit geladen. »Es gibt nichts, was irgendwer tun könnte. Er ist ein totales Arschloch, und ich bin eine Vollidiotin, weil ich das nicht schon vor Jahren gemerkt habe.« Sie brach ab und presste die Lippen zusammen, wie um den Wortschwall abzuschneiden. Dann zuckte sie mit den Achseln. »Aber trotzdem danke.«
»Dann werdet ihr euch wohl kaum mit einem Küsschen wieder versöhnen«, meinte Kincaid und fragte dann: »Jules, hast du Angst vor ihm?«
Ihr Schulterzucken wirkte verkrampft. »Nein. Ja. Ich weiß es nicht. Er hat mich nie … geschlagen oder so was. Aber … in letzter Zeit war er so anders. Die Sachen, die er an Heiligabend gesagt hat …« Er sah, wie ihr bei der Erinnerung an die Szene das Blut in die Wangen schoss. »Und gestern … da habe ich einfach total überreagiert. Und jetzt kann ich doch nicht einfach nach Hause zurückgehen und so tun, als wäre nichts geschehen.«
»Hat er versucht, dich anzurufen?«
»Das weiß ich nicht. Jedenfalls nicht bei Mama und Papa, und mein Handy habe ich ausgeschaltet. Ich habe Lally ihres auch weggenommen – ich wollte nicht, dass er sie anruft. Sie ist furchtbar sauer auf mich. Man könnte meinen, ich hätte ihr einen Arm amputiert.«
Aber Kincaid ließ sich nicht so leicht abbringen. »Glaubst du nicht, dass Caspar sich Sorgen um dich macht?«
Diesmal sah Juliet ihn tatsächlich an, aber nur lange genug, um die Augen zu verdrehen. »Er muss wissen, wo ich bin, sonst hätte er Mama und Papa wohl schon die Tür eingerannt.
Und außerdem – wo sollte ich denn sonst hingehen? Ich gehöre ja schließlich nicht zu den oberen Zehntausend, die sich mal eben die Villa von Freunden in Cap-Ferrat ausleihen können, um ein paar Tage in Ruhe nachzudenken.«
Sarkasmus war immer schon die Waffe seiner Schwester gewesen; daran hatte sich jedenfalls nichts
Weitere Kostenlose Bücher