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So will ich schweigen

So will ich schweigen

Titel: So will ich schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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Als er angezogen war, kramte er ein Blatt Papier und einen Stift aus seinem Rucksack und schrieb: »Bin mit Tess spazieren gegangen. Komme bald wieder.« Dann nahm er den Hund auf den Arm und schlich aus dem Zimmer. Den Zettel legte er vor der Zimmertür auf den Boden.
    Niemand begegnete ihm, als er die Treppe hinunterging und zur Haustür hinausschlüpfte. Er hatte Tess’ Leine vergessen, aber das war nicht weiter schlimm; er hatte nicht vor, in die Nähe einer Straße zu gehen. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber der Nebel hatte sich über Nacht gelichtet, und der Himmel leuchtete blassgolden, mit einem rosigen Schimmer im Osten.
    Die Luft war kalt und frisch, wie durch den Nebel gereinigt, und als der Bogen der Sonne über den Horizont stieg, glitzerte
das Eis an Bäumen und Hecken wie Kristall. Kit hielt inne, um den herrlichen Anblick zu genießen. Lange stand er da und schaute, als könne er die Vollkommenheit festhalten.
    Dann begann sein Magen zu knurren und erinnerte ihn daran, wie die Zeit verging. Er wusste, dass er umkehren sollte – er wollte ja nicht, dass sie sich Sorgen um ihn machten -, doch als Tess vorauslief, folgte er ihr. Nicht einmal der herrliche Sonnenaufgang hatte das Unbehagen, das von seinem Traum zurückgeblieben war, ganz vertreiben können. Und er hatte sich auch noch nicht überlegt, was er wegen Lally unternehmen sollte.
    An der Middlewich Junction angelangt, wandte er sich nach Süden und passierte das schlafende Barbridge Inn auf der anderen Seite des Kanals. Wenn er immer weiterginge, dachte er, würde er auf die Horizon stoßen, und wenn Annie schon auf wäre, könnte er sich für gestern entschuldigen. Er war furchtbar unhöflich gewesen, und sie sollte nicht denken, dass er nicht wiederkommen wollte. Vielleicht könnten sie sogar für später etwas ausmachen.
    Er fürchtete schon, dass der gestrige Nebel seine Wahrnehmung der Entfernungen verzerrt haben könnte, doch bald darauf bog er um eine Kurve und sah die Horizon genau da liegen, wo er sie vermutet hatte. Die blaue Farbe glänzte in der Morgensonne, doch vom Schornstein stieg kein Rauch auf. Er schluckte seine Enttäuschung hinunter und ging weiter – vielleicht war sie ja doch schon auf und hatte nur noch kein Feuer im Ofen gemacht. Tess war ein paar Schritte zurückgeblieben und buddelte am Rand der Hecke in der Erde, aber er ließ sie gewähren und vertraute darauf, dass sie ihn schon einholen würde.
    Kein Geräusch kam vom Boot, keine Bewegung war zu sehen, und er hatte sich gerade entschlossen, kehrtzumachen, als er neben dem Leinpfad auf Höhe des Bugs eine zusammengesunkene
Gestalt erblickte. Seine Schritte wurden langsamer, merkwürdig gehemmt wie in seinem Traum, doch er zwang sich weiterzugehen. Das Blut rauschte in seinen Ohren, er rang nach Luft, während sein Gehirn zu verarbeiten suchte, was jeden Albtraum weit in den Schatten stellte.
    Annie Lebow lag zwischen dem Fußpfad und der Hecke. Einer ihrer Schuhe lag einen knappen Meter von ihrem ausgestreckten Bein entfernt, und er musste gegen die Versuchung ankämpfen, ihn aufzuheben und ihn ihr wieder anzuziehen. Sie lag auf der Seite, einen Arm über das Gesicht geworfen, wie um ihre Augen vor der aufgehenden Sonne zu schützen.
    Kit erstarrte und schluckte krampfhaft, um die aufsteigende Übelkeit niederzukämpfen. Das Blut, das sich in einer Lache unter ihrem blonden, in Spitzen abstehenden Haar gesammelt hatte, war nicht leuchtend rot wie in seinem Traum, sondern schwarz wie Teer.

15
    Babcock hatte nach einer halbstündigen Auseinandersetzung mit dem schwer zu fassenden Heizungsmonteur gerade den Hörer aufgelegt, als das Telefon erneut klingelte. Seine Finger waren schon ganz steif von der lähmenden Kälte in der Küche, als er nach dem Hörer griff und losblaffte, ohne auf das Display zu schauen: »Wenn Sie nicht in dreißig Minuten hier auf der Matte stehen, verklage ich Sie auf Schmerzensgeld wegen Erfrierungen an den Fingern!«
    »Äh … Sir. Ich kann in fünf Minuten bei Ihnen sein, aber was die Erfrierungen betrifft, kann ich Ihnen auch nicht helfen.« Es war Sheila Larkin, und sie klang irritiert.
    Babcock stöhnte. Er klemmte den Hörer zwischen Kinn und Schulter ein und hauchte sich auf die Finger. »’tschuldigung, Larkin. Ich versuche immer noch verzweifelt, meine verdammte Heizung reparieren zu lassen. Gibt es einen besonderen Grund, weshalb Sie mich zu dieser unchristlichen Stunde abholen wollen?« Auf seiner Küchenuhr war es

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