So will ich schweigen
beeinflussenden Faktoren ebenso gut wie ich, Chief Inspector. Eine Nacht unter freiem Himmel kann die Leichenstarre hinauszögern, ebenso wie ein überraschender Angriff. Ich kann keine Abwehrverletzungen oder Spuren eines Kampfes entdecken, und auch keine Hinweise auf ein Sexualvergehen.«
Sosehr es ihn auch fuchste, Babcock wusste, dass sie recht hatte. Wenn ein Opfer sich gegen seinen Angreifer gewehrt hatte oder kurz vor dem Tod noch gerannt war, konnte die Ausschüttung von ATP in den Muskeln zu einem beinahe sofortigen Einsetzen der Totenstarre führen. Bei einem Opfer, das hinterrücks erschlagen wurde, konnte sie dagegen um mehrere Stunden verzögert sein. Und es gab noch einen anderen Faktor, den Babcock gerne ignoriert hätte, doch er wusste, dass er ihn ansprechen musste.
»Ist der Tod sofort eingetreten, Doc?«
»Da muss ich Sie leider enttäuschen, Ronnie. Vielleicht kann ich mehr sagen, wenn ich sie einmal auf dem Tisch habe.« Elsworthy seufzte und schien in ihrer zu großen Jacke ein wenig zusammenzuschrumpfen. Zum ersten Mal, seit Babcock sie kannte, schien sie einfach nur menschlich und unerwartet verletzlich. »Was ich Ihnen sagen kann, ist, dass die Lage der Leiche nicht natürlich ist – sie ist nach dem Schlag nicht so hingefallen.«
Babcock malte sich aus, wie Annie Constantine gemütlich in ihrem Salon gesessen und plötzlich gespürt hatte, wie das Boot vom Ufer abgetrieben wurde. Sie hatte wahrscheinlich ihr Glas abgestellt und war an Deck gegangen, wobei sie die dicke Jacke hängen ließ. Hatte sie gesehen, dass die Leine lose hing, und sich vielleicht gedacht, der Knoten könne sich gelockert haben? Dann hätte sie wohl eine Stange benutzt, um das Boot zum Ufer zu bewegen, und wäre heraufgestiegen. Und während sie die Leine festgebunden hätte, wäre ihr aufgefallen, dass der Bodenanker selbst verschwunden war.
Aber irgendjemand hatte da draußen auf sie gelauert, vielleicht geduckt im Schatten der Hecke. War der Täter aus seinem Versteck gesprungen und hatte einmal, zweimal auf sie eingeschlagen, um dann davonzurennen, während sie noch versuchte, sich aufzurappeln, ehe sie das Bewusstsein verloren hatte und zusammengebrochen war?
Oder hatte er lange genug gewartet, um Gewissheit zu haben, dass der Schlag seine Wirkung getan hatte, und sie dann aufgehoben und ein paar Schritte weiter geschleppt, um sie so liegen zu lassen, als wäre sie einfach nur am Wegrand eingeschlafen?
Neben sich hörte er Kincaids leise Stimme. Seine Worte schienen ein Echo von Babcocks Gedanken. »Warum hätte er – oder sie – die Leiche bewegen sollen? Und war sie noch am Leben, als er es tat?«
Nachdem Gemma Kit und Tess auf dem Beifahrersitz des Escort verstaut hatte, ging sie um den Wagen herum zur Fahrerseite, stieg ein und ließ den Motor an. Er war noch nicht abgekühlt, und sofort strömte wohlig warme Luft aus den Lüftungsschlitzen. Kit protestierte nicht, als sie ihm die Rettungsdecke, die sie von draußen geholt hatte, um die Schultern legte, und nach kurzer Zeit hörte er auf zu zittern.
»Das ist schon viel besser«, sagte Gemma und lächelte ihn an, während sie sich die Finger im Luftstrom wärmte.
»Damit vergeudest du doch nur Benzin«, wandte Kit ein, doch er klang nicht sehr überzeugt.
»Hauptsache, du holst dir keine Lungenentzündung. Oder Tess.«
»Hunde kriegen keine Lungenentzündung«, gab Kit schon etwas energischer zurück, doch dann wurde seine Stimme wieder unsicher, und er fügte hinzu: »Oder?« Er zog Tess, die auf seinem Schoß lag, ein wenig fester an sich heran.
»Nein, ganz bestimmt nicht«, sagte Gemma, die sich alles andere als sicher war. Schließlich hatte sie vor Tess und Geordie nie einen Hund besessen. »Sie hat ja ihr warmes Fell. Du weißt doch, wie gern sie zu Hause im Garten rumtollt, auch wenn es draußen bitterkalt ist?«
Kits Miene entspannte sich ein wenig. »Tess würde sich nicht mal von einem arktischen Schneesturm davon abhalten lassen, Eichhörnchen zu jagen.«
»Und es hat ihr noch nie geschadet – deshalb bin ich mir sicher, dass es ihr auch jetzt nichts ausmacht.« Tatsächlich waren der kleinen Hündin inzwischen die Augen zugefallen, und sie begann ganz leise zu schnarchen.
Gemma wählte ihre nächsten Worte mit Bedacht. Sie wollte die harmonische Stimmung, die sich zwischen ihnen aufgebaut hatte, nicht zerstören, doch es gab da etwas, was ihr keine Ruhe ließ, seit sie Kits Zettel gefunden hatten. »Ihr wart ja ganz
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