So will ich schweigen
überbringen.« Es klang nach Rücksicht auf die Gefühle der Betroffenen, doch Kincaid wusste, dass auch Kalkül im Spiel war – es lohnte sich immer, die ersten Reaktionen der Personen zu beobachten, die dem Opfer am nächsten gestanden hatten.
»Dann wollen wir mal hoffen, dass er zu Hause arbeitet oder dass auch Journalisten über Weihnachten ein paar Tage frei bekommen.
« Kincaid musste gegen die Versuchung ankämpfen, auf eine imaginäre Bremse zu steigen, als Babcock hinter einem langsam fahrenden landwirtschaftlichen Transporter scharf abbremste. Sobald die Bahn frei war, schaltete Babcock zurück und schoss mühelos an dem Laster vorbei. Die Straße war eng und kurvig geworden – eine ideale Gelegenheit, die Beschleunigung und Straßenlage des BMW zu demonstrieren.
Der Charakter der Landschaft änderte sich rapide, wenn man von Nantwich Richtung Westen fuhr. Schon nach wenigen Meilen wich die Ebene von Cheshire sanften, bewaldeten Hügeln, und die Bauernhäuser aus schlichtem Backstein waren mit bunt bemalten Türstöcken und Fensterläden herausgeputzt. Kincaid hatte nie in Erfahrung bringen können, was der Grund dieser Vorliebe für architektonische Verzierungen war, doch als Junge hatte er immer an Hexenhäuschen in einem verwunschenen Märchenwald denken müssen. Die Kindheit, in der noch Platz für solche Fantasien gewesen war, schien jetzt unendlich fern, und der Gedanke, dass für seinen Sohn diese Unschuld für immer verloren war, traf ihn mit der Wucht eines Faustschlags.
Ronnie Babcock nahm für einen Moment die Augen von der Straße, um Kincaid von der Seite anzusehen. »Ich weiß, was du denkst.«
»Wie bitte?«, entgegnete Kincaid überrascht.
»Du erinnerst dich an den Ford Anglia, den ich damals als Schüler hatte«, sagte Babcock.
Kincaid war erleichtert. »Natürlich«, antwortete er lässig. »Aber ich hatte nie das zweifelhafte Vergnügen, bei dir mitfahren zu dürfen.« Er erinnerte sich allerdings noch gut an den Wagen, einen klapprigen 1966er Saloon Special mit auffälliger Venetian-Gold-Lackierung. Ronnie hatte mehrere Schülerjobs angenommen, um sich den Wagen leisten zu können, und er war sein ganzer Stolz gewesen.
»Da hast du Glück gehabt«, pflichtete Babcock ihm bei. »Mir ist schon mal der eine oder andere Beifahrer durch den Boden gekracht. Ich hatte mir gerade überlegt, einen Schleudersitz einzubauen, als die alte Kiste endgültig den Geist aufgegeben hat.«
»Du hast es wirklich zu was gebracht, Ronnie.« Kincaids Geste bezog sich scheinbar auf den BMW, doch er meinte mehr als nur den Wagen.
Babcock grinste bitter. »Kann man wohl sagen. Sieh mich doch an – vollkommen überarbeitet, ein Haus mit einer fetten Hypothek drauf, dafür aber ohne Heizung, und wenn ich mal mit jemandem reden will, muss ich meine alte Tante besuchen. Genau das Leben, das jedem ehrgeizigen Jungen aus der Arbeiterschicht vorschwebt.«
»Du bist also nicht verheiratet?«
»Geschieden. Seit knapp einem Jahr.« Babcocks säuerliche Miene sprach Bände. »Und du? Wieso hast du mit der entzückenden Gemma noch nicht den Bund fürs Leben geschlossen?«
Die Frage hatte Kincaid nicht erwartet. Er sah seinen alten Freund von der Seite an, doch Babcocks Blick war schon wieder auf die Straße gerichtet.
»Das ist eine komplizierte Geschichte«, sagte er gedehnt. »In der ersten Zeit haben wir noch zusammengearbeitet, und da haben wir uns eben angewöhnt, unsere Beziehung geheim zu halten. Du weißt ja, wie das ist. Für mich wäre es kein so großes Problem gewesen, wenn es herausgekommen wäre, abgesehen von der einen oder anderen anzüglichen Bemerkung seitens der lieben Kollegen. Aber Gemmas Karriere hätte es nachhaltig geschadet. Auch wenn sie noch so deutlich ihre Kompetenz unter Beweis gestellt hätte, es hätte immer noch irgendjemand hinter ihrem Rücken geflüstert, dass sie sich ihre Beförderungen erschlafen hätte.« Noch jetzt ließ der Gedanke
an diese Ungerechtigkeit seinen Blutdruck in die Höhe schießen, und er schüttelte angewidert den Kopf, ehe er fortfuhr. »Und deshalb haben wir alles mehr oder weniger beim Alten gelassen, als sie ihre Beförderung zum Inspector erhielt und an eine andere Dienststelle versetzt wurde. Aber dann …« Kincaid zögerte. »Dann haben wir erfahren, dass Gemma schwanger ist. Wir sind zusammengezogen, aber ich … Ich denke, wir wollten beide den Eindruck vermeiden, dass …«
»Dass ihr nur heiratet, weil die Umstände euch dazu
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