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So will ich schweigen

So will ich schweigen

Titel: So will ich schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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und glaubte im ersten Moment, sich in eine Puppenstube verirrt zu haben – so winzig war der Raum, so raffiniert eingeteilt und so einladend, mit seinen dunkel getäfelten Wänden, die mit glänzenden Messinggeräten und Tellern mit fein ziselierten Rändern geschmückt waren. Die Vorhänge, rot gemustert wie die Kissen auf den zwei Sitzbänken, schufen eine heimelige Atmosphäre, und ein Feuer brannte in dem gusseisernen Herd, der geschickt in die Ecke nahe den Eingangsstufen eingepasst war. Von der schrägen, ebenfalls vertäfelten Decke hing eine Laterne herab.
    Aber alles lenkte den Blick auf das Gemälde auf der Unterseite eines an der Wand befestigten Klapptischs. Ein heller, gewundener Weg führte hinauf zu einem verwunschenen
Schloss hoch oben auf einem Hügel. Die Farben waren leuchtend, das Gras märchenhaft grün, der Himmel strahlend blau, die Wolken schimmerten weiß. Details und Perspektive verrieten die Hand eines wahren Künstlers.
    »Hat meine Frau gemalt«, sagte Gabriel Wain mit unerwartetem Stolz in der Stimme. »Niemand auf dem ganzen Cut beherrscht den alten Stil so wie meine Rowan.«
    Jetzt entdeckte Gemma noch andere Stücke, die Rowans Signatur trugen – einen blauen Metallbecher, bemalt mit roten und gelben Rosen, eine Wasserkanne, eine Schale.
    »Sie lassen die kalte Luft rein«, meinte Wain und deutete mit einem Nicken auf die Tür hinter Gemma.
    Sie schreckte auf und merkte, dass sie wie angewurzelt dagestanden und Kincaid den Weg versperrt hatte. Rasch trat sie einen Schritt vor.
    »Sie haben die Kabine im Originalzustand erhalten«, sagte Kincaid, als er hinter ihr die Stufen hinunterstieg. Er deutete auf den Durchgang zum Bug. »Aber Sie haben den ehemaligen Laderaum wahrscheinlich auch zu Wohnräumen umgebaut?«
    »Dieses Boot war ursprünglich als Butty konstruiert – es hatte keinen eigenen Motor und wurde von einem anderen geschleppt; deshalb war die Kabine größer«, erklärte Wain. »Aber Sie sind sicher nicht bei diesem Wetter hier rausgekommen, um mein Boot zu bewundern, Mr. … Kincaid, nicht wahr?« Er forderte sie nicht auf, sich zu setzen.
    Sie rückte ein Stück weiter in die Mitte der Kabine vor. Kincaid blieb hinter ihr stehen und signalisierte ihr damit, dass sie den Anfang machen sollte. Gemma sammelte sich und sagte: »Mr. Wain, wir müssen wissen, was mit Marie passiert ist.«
    Wain starrte sie an, und seine Augen weiteten sich. Er war auf alles vorbereitet gewesen, dachte sie, nur darauf nicht. »Marie? Sie ist mit Joseph bei der Ärztin. Die wird Ihnen ja wohl gesagt haben …«

    »Nein«, sagte Gemma, und obwohl sie ihre Stimme nicht erhoben hatte, brach Wain ab, als hätte sie ihn geschlagen. »Ich will, dass Sie uns sagen, was mit Marie passiert ist.«
    Die Stille dehnte sich in dem beengten Raum aus. Endlich hatte Wain sich wieder gefangen und polterte empört los: »Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Marie ist bei Dr. Elsworthy, nur für ein paar …«
    Im Gang bewegte sich etwas, und gleich darauf betrat eine Frau die Kabine. Sie stellte sich neben Gabriel und legte ihm ihre mageren Finger auf den Arm. Die Geste genügte, um ihn verstummen zu lassen.
    Sie war einmal hübsch gewesen, dachte Gemma, aber jetzt lag der Schatten des Todes auf ihr. Die Kleider hingen lose an ihrem abgemagerten Körper, das matte Haar war achtlos im Nacken zusammengebunden, und ihre Haut war fahlgrau. Im Arm hielt sie ein Sauerstoffgerät, wie ein monströses Roboterbaby, mit ihr verbunden durch eine Nabelschnur aus Plastik, die sich am Ende zu einer Nasenkanüle verzweigte.
    »Sie müssen Rowan sein«, sagte Gemma sanft. »Ich bin Gemma James, und das ist Duncan Kincaid.«
    »Sind Sie von der Polizei?«, fragte Rowan Wain.
    »Wir sind Polizeibeamte aus London, ja«, wich Gemma aus und wünschte sich, sie und Kincaid hätten ihre Taktik vorher besser abgesprochen. »Aber wir sind nicht in offiziellem Auftrag hier.«
    »Dann haben Sie kein Recht, uns zu fragen …«
    »Gabriel, bitte.« Rowan stützte sich auf seinen Arm, um sich auf eine Bank niederzulassen. »Es hat keinen Sinn. Begreifst du das denn nicht?« Sie blickte beschwörend zu ihm auf. »Und ich muss es erzählen. Jetzt, solange ich noch kann.«
    Gabriel Wain schien vor Gemmas Augen in sich zusammenzufallen, als ob ihm das Ziel, das ihm Kraft gegeben hatte, plötzlich genommen worden wäre. Er setzte sich neben seine
Frau und nahm ihre Hand, sagte jedoch nichts. Das einzige Geräusch in dem kleinen Raum war das

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