So will ich schweigen
rhythmische Zischen des Sauerstoffs, der aus dem Behälter gepumpt wurde.
»Sie war so vollkommen.« Die Erinnerung formte Rowans Lippen zu einem Lächeln. »Nach der schweren Zeit mit Joseph hatten wir befürchtet, es würde wieder von vorne losgehen, das Erbrechen, die Anfälle. Und es war eine schwierige Schwangerschaft gewesen, mit dem ganzen Ärger, den wir damals hatten.« Sie hielt inne und ließ den Sauerstoff seine Wirkung tun. Nachdem sie eine Weile die Augen geschlossen hatte, um ihre Kräfte zu sammeln, fuhr sie fort: »Aber sie hat ganz normal gegessen und geschlafen, ein hübsches, gesundes Kind mit rosigen Wangen, und sie hat uns überhaupt keinen Kummer gemacht.
Und dann eines Tages, sie war gerade acht Monate alt geworden, habe ich sie da drüben hingelegt, für ihr Nachmittagsschläfchen.« Sie deutete auf den Durchgang, und Gemma sah, dass in der einen Wand eine Aussparung für ein Bettchen war, gerade groß genug für einen Säugling oder ein Kleinkind. »Ich habe Hackfleisch fürs Abendessen gekocht«, fuhr Rowan fort. »Es war ein kalter Tag, und ich wusste, dass Gabriel schwer gearbeitet hatte.« Ihr Blick schweifte in die Ferne, ihre Stimme wurde zu einem kaum vernehmlichen Hauchen. »Gabe hatte Joseph mitgenommen. Joseph war damals fast drei, und es ging ihm schon viel besser, sodass wir uns nicht mehr solche Sorgen gemacht haben. Er half seinem Papa gerne bei der Arbeit, und ich genoss es, mal ein paar Stunden für mich allein zu haben.
Ich habe gesungen. Zu der Musik im Radio. Ein Mann, für den Gabriel gearbeitet hatte, hatte ihm ein Radio geschenkt, das nur mit Batterien lief, deshalb habe ich es nur eingeschaltet, wenn ich mir was Besonderes gönnen wollte. Es war ein albernes Lied. Ich weiß nicht, wie es hieß, aber es hat mich fröhlich gemacht.« Sie summte mit heiserer Stimme ein paar Takte, und Gemma erkannte die Melodie: » Dancing Queen« von ABBA.
»Ich weiß, welches Sie meinen«, sagte sie, und Rowan lächelte, als hätten sie etwas Verbindendes entdeckt.
»Ich habe mir überlegt, was ich malen würde, am Abend, wenn die Kinder im Bett wären.« Rowan brach ab. Ihr Gesicht wurde noch blasser, ihr Atem ging schwerer.
Gemma trat näher zu ihr und sagte: »Ist alles in Ordnung? Soll ich …« Doch Rowan ließ die Hand ihres Mannes los und winkte sie zurück.
»Nein. Bitte. Lassen Sie mich ausreden. Ich hatte das Hackfleisch fast fertig. Es wurde allmählich dunkel draußen, und ich merkte plötzlich, dass Marie schon längst hätte wach sein müssen. Ich wischte mir die Hände an einem Geschirrtuch ab und ging zu ihr rein. Dabei habe ich immer noch gesungen.«
Gabriel schüttelte den Kopf, als wolle er sie anflehen, alles abzuleugnen, doch dann schien er einzusehen, dass er sie nicht aufhalten konnte. Er senkte den Kopf, ergriff wieder ihre Hand, und sie alle warteten. Gemma spürte Kincaids Atem warm im Nacken.
»Ich wusste sofort Bescheid. In den Gedichten, die ich als Kind gelernt habe, wurde der Tod immer mit einem Schlaf verglichen, aber das kann man gar nicht verwechseln. Sie war einfach zu still, das habe ich gleich gesehen, obwohl sie mit ihrer kleinen rosa Decke zugedeckt war. Als ich sie anfasste, war sie ganz kalt, und ihre Haut war blau.«
Niemand sagte ein Wort. Das hypnotisierende Zischen des Sauerstoffreglers füllte den Raum, bis Gemma glaubte, ihr Herz schlüge im gleichen Rhythmus. Sie merkte, dass ihre Wangen feucht waren, und wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht.
Sie hatte ihr eigenes Kind in den Armen gehalten – so winzig, so vollkommen -, und sie wusste, dass kein Irrtum möglich war, wenn das Leben einen solchen kleinen Körper verlassen hatte. »Es tut mir leid. Das muss furchtbar für Sie gewesen
sein«, sagte sie, und ihre Worte schienen Rowan die Kraft für einen letzten Anlauf zu verleihen.
»Ich habe es versucht. Weiß Gott, ich habe es versucht. Ich habe alles getan, was man uns bei Joseph beigebracht hatte. Ich habe ihr meinen eigenen Atem in die Lungen geblasen, bis ich fühlen konnte, wie ihre Brust sich unter meiner Hand hob und senkte, aber es half alles nichts mehr. Wir lagen unten bei Huddleston, und es war kein Boot in der Nähe, wo ich hätte Hilfe holen können. Als dann Gabriel zurückkam …«
»Ich habe sie gefunden«, sagte Gabriel mit heiserer Stimme. »Rowan mit der kleinen Marie im Arm. Es war zu spät. Zu spät«, wiederholte er, mit schmerzverzerrtem Gesicht. »Und dann ist mir klar geworden, was
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