So will ich schweigen
Mädchens, das sie Marie nennen, sind blau wie Rittersporn.«
Er ließ ihre Worte auf sich wirken. »Aber … das Mädchen war doch noch ein Baby, als Annie es zuletzt sah, nach Abschluss ihres Falles. Sie könnte sich geirrt haben …«
»Nein. Die Augen von Babys sind in den ersten Wochen manchmal ein wenig milchig, von undefinierbarer Farbe. Aber danach ist es ganz klar. Und bei blauäugigen Kindern ist es noch leichter. Bei Toby konnte man nach ein oder zwei Tagen schon erkennen, dass er eindeutig blaue Augen hatte.«
»Willst du damit sagen, die Wains hätten ihr Kind mit einem anderen vertauscht? Ohne dass jemand etwas merkte?« Allmählich wurde ihm klar, was das bedeutete. »Wenn das so ist, dann ist das Baby aus dem Stall möglicherweise …«
»Ich weiß es nicht.« Sie beschleunigte ein wenig zu stark, und die Hinterreifen des Escort schlitterten ein Stück über den vereisten Asphalt. »Aber wir werden es herausfinden.«
»Gemma, wenn du recht hast, hätten wir Babcock Bescheid sagen müssen.«
»Erst, nachdem wir mit Gabriel Wain geredet haben.«
Quietschsauber, in Jeans und einen flauschigen Wollpulli gehüllt, ging Juliet nach unten und traf dort ihre Mutter, die inzwischen vom Buchladen zurück war und wie ein Wirbelwind in der Küche herumsauste.
»Ich habe ein paar Sachen zum Abendessen für die Kinder rausgestellt«, sagte Rosemary. »Da ist ein Blumenkohlauflauf, den ich noch im Tiefkühlfach hatte, und Zutaten für einen Salat. Wenn du dann vielleicht noch …«
»Mama, bitte. Ich krieg das schon hin«, unterbrach Juliet sie, jedoch ohne Schärfe. Ihre Eltern waren bei Freunden in Barbridge zum Essen eingeladen, ein Termin, der schon sehr lange feststand, und Juliet wusste, dass Rosemary ihre Fürsorge übertrieb. »Geht nur und amüsiert euch schön. Wir werden schon nicht verhungern.« Spontan umarmte sie ihre Mutter. Der vertraute Duft des Maiglöckchenparfüms stieg ihr in die Nase, und sofort fühlte sie sich irgendwie getröstet.
Welche Düfte ihre Kinder wohl mit ihr assoziieren würden, wenn sie erwachsen waren? Schweiß, Ziegelstaub und Sägemehl?
»Bist du sicher?«, fragte Rosemary und strich ihr über die Wange. »Duncan und Gemma dürften bald hier sein.«
»Ja. Und wenn du Papa nicht endlich mal vor die Tür schleppst, wird er sich doch wieder nur in den Monopoly-Marathon reinziehen lassen. Aber ich bin ganz froh, dass ihr nicht so weit fahren müsst. Sieht aus, als ob es eine ziemlich scheußliche Nacht wird.«
Sie hatte Rosemary gerade in den Mantel geholfen und ihren Eltern an der Haustür nachgewinkt wie eine Mutter, die ihre Kinder in die Schule schickt, als das Telefon klingelte. Sie
wollte schon ihr Handy aus der Tasche ziehen, doch dann fiel ihr ein, dass sie es oben bei ihren Arbeitsklamotten hatte liegen lassen. Es war das Haustelefon.
Die Kinder waren alle im Wohnzimmer versammelt, und nachdem weder Lally noch Sam auftauchten – obwohl ihr Sohn normalerweise mit der Promptheit eines Pawlowschen Hundes auf ein läutendes Telefon reagierte -, schlurfte sie selbst in die Küche. Sie nahm den Hörer ab und meldete sich mit der Nummer ihrer Eltern.
»Juliet? Bist du’s?«
Überrascht erkannte sie die Stimme ihrer Freundin Gill, die in Nantwich in der Nähe des Marktplatzes eine Kunsthandlung hatte.
»Gill?«
»Ich hab’s immer wieder bei euch zu Hause und auf deinem Handy versucht«, fuhr Gill fort. »Und da dachte ich mir, ich probier’s mal bei deinen Eltern.«
Juliet war sofort ein wenig beunruhigt. Gill würde sie nie so hartnäckig zu erreichen versuchen, wenn sie bloß plaudern wollte, und um diese Uhrzeit hätte sie ihren Laden längst geschlossen haben und auf dem Weg zu ihrem Cottage in der Nähe von Whitchurch sein müssen.
»Was gibt’s? Ist was passiert?«
»Das Büro von deinem Mann, Newcombe & Dutton – da brennt’s. Die Feuerwehr ist schon da, aber sie haben es noch nicht unter Kontrolle. Ich glaube nicht, dass jemand drin ist, aber nachdem ich weder dich noch Caspar erreichen konnte …«
»Caspar? Du hast es auch auf seinem Handy versucht?«
»Ja. Soll das heißen, er ist nicht bei dir?«
»Nein. Gill, sei mir nicht böse, aber ich muss sofort los. Ich ruf dich später zurück.« Juliet legte auf, bevor ihre Freundin etwas erwidern konnte. Sie konnte jetzt keine neugierigen Fragen
beantworten. Ihre Knie zitterten vor Panik. Jack, der die Angst in ihrer Stimme registriert hatte, stand von seinem Hundeplatz am Ofen auf, kam
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