So will ich schweigen
Dinge, die Kincaid selbst auch getan hätte, wenn es sein Fall gewesen wäre.
Die kleinen Rädchen in Kincaids Kopf begannen sich zu drehen, das Adrenalin schoss ihm in die Adern, und der Jagdeifer ergriff von ihm Besitz wie eine Droge. Er verspürte den unbändigen Wunsch, mit Babcock und dem Team der Spurensicherung den Fundort zu inspizieren; er wollte hören, was die Rechtsmedizinerin über den Kinderleichnam zu sagen hätte. Er war drauf und dran, Juliet zu bitten, ohne ihn zu fahren, und Babcock zu sagen, dass er bleiben würde, doch da fiel sein Blick auf seine Schwester.
Zitternd, eingemummt in ihre gefütterte Jacke, wirkte sie so verletzlich, wie Kincaid sie noch nie erlebt hatte. Sie sah ihn verwirrt an.
»Duncan, können wir jetzt nicht gehen?«
Unsere Familien warten auf uns , hatte sie zu Babcock gesagt. Er dachte an Gemma und die Jungs, die bei seinen Eltern festsaßen, während der Heiligabend verstrich, und er schimpfte sich innerlich einen verdammten Egoisten.
»Natürlich«, sagte er und fügte an Babcock gewandt hinzu: »Dann mal viel Glück beim Ermitteln.«
Er wandte sich ab und ging mit Juliet zu ihrem Lieferwagen, doch als er in seinen eigenen Wagen einstieg, konnte er es sich nicht verkneifen, sich noch ein letztes Mal umzuschauen.
Babcock stand noch immer an derselben Stelle und beobachtete ihn, die Lippen zu einem wissenden Lächeln verzogen.
»Wo zum Teufel steckt sie?« Caspar Newcombe knallte den Hörer auf die Gabel seines Bürotelefons. »Es ist gleich acht
Uhr, wir sollen ihre gesamte Sippe vor der Mitternachtsmesse bei uns verköstigen, und sie ist vollkommen abgetaucht!«
»Hast du es mal bei ihrer Mutter versucht?« Piers Dutton, Caspars Geschäftspartner, ließ sich noch etwas tiefer in einen der bequemen Besuchersessel gegenüber von Caspars Schreibtisch sinken. Irgendwann hatte Caspar es satt gehabt, in dem leeren Haus herumzutigern und immer wieder vergeblich zu versuchen, seine Frau auf dem Handy zu erreichen, und war zu Fuß den kurzen Weg zu seiner Firma gegangen. Dort hatte er Piers angetroffen, der noch ein wenig Papierkram erledigte. Piers hatte Caspars Gesichtsausdruck bemerkt und war ihm in sein Büro gefolgt.
Die Firma Newcombe & Dutton Anlageberatung residierte im Erdgeschoss eines georgianischen Reihenhauses in der Nähe des Marktplatzes, nur einen Katzensprung von der Kirche St. Mary’s entfernt. Das Haus war ein Schmuckstück, und Caspar war stolz darauf, dass es ihm gelungen war, die Bürosuite für die Firma zu ergattern. Er hatte auch von seiner Frau erwartet, dass sie seine Gefühle teilte und ihre Position als Büroleiterin von Newcombe & Dutton als Privileg betrachtete.
Stattdessen hatte sie ihnen ohne Vorwarnung den Krempel vor die Füße geworfen und sich auch noch Geld geliehen , um ihre Baufirma gründen zu können. Eine Baufirma! Wenn es ihre Absicht gewesen war, ihn zu demütigen, hätte sie keine bessere Wahl treffen können. Sicher, im Haus hatte sie sich mit ihrem handwerklichen Geschick immer sehr nützlich gemacht, und er war sogar froh gewesen, wenn sie sich an Reparaturen gewagt hatte, für die er einen Profi hätte engagieren müssen. Aber das ging nun doch entschieden zu weit. Und jetzt – jetzt war er dahintergekommen, dass sie sich noch Schlimmeres hatte zuschulden kommen lassen.
»Es ist doch kein Zustand, dass ich immer hinter ihr her sein muss wie hinter einem ungezogenen Kind«, sagte er missmutig
zu Piers. Caspar warf einen Blick auf seinen eigenen lederbezogenen Chefsessel, ein Spitzenmodell, für das er einen Spitzenpreis bezahlt hatte, doch er war zu aufgebracht, um sich zu setzen. Stattdessen ging er zur Bar in der hinteren Ecke des Büros und goss je einen guten Fingerbreit Dalwhinnie Single Malt in zwei Whiskygläser aus Kristall. Nicht irgendwelche Gläser natürlich, sondern finnisches Designerkristall. Waterford war passé, fand Caspar, und er legte Wert darauf, dass alles in den Geschäftsräumen der Firma den erlesensten und modischsten Geschmack widerspiegelte.
Das galt auch für ihn selbst, wenngleich er eingestehen musste, dass er trotz seiner edlen Wollhose und seines blassgelben Kaschmirpullovers immer noch wie der einfache Buchhalter aussah, der er nun einmal war, seinem hochtrabenden Titel zum Trotz. Er war zu hoch aufgeschossen, zu dünn, zu dunkel im Teint, und seine feinen, ernsthaften Züge würden nie den lässigen Charme ausstrahlen, den sein Partner so mühelos verströmte.
»Cheers«, sagte
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