So will ich schweigen
würde. Er war sich auch gar nicht so sicher, ob er es wirklich wissen wollte.
Er trat noch ein paar Schritte zurück, um der Rechtsmedizinerin Platz zu machen. Sie beugte sich vor wie ein dick vermummter Kranich und betrachtete eingehend den Leichnam, um ihn dann vorsichtig mit einem behandschuhten Finger zu befühlen. Dabei schwieg sie beharrlich – Smalltalk war noch nie ihre Stärke gewesen -, und nach einer Weile konnte Babcock seine Ungeduld nicht mehr im Zaum halten.
»Und?«, fragte er. »Was glauben Sie, wie lange es schon da liegt? Wie alt ist es? Ist es ein Junge oder ein Mädchen?«
Der Blick, den sie auf ihn abschoss, hätte einem Schuljungen gelten können, der permanent den Unterricht störte. Sie wandte sich wieder der aufgebrochenen Mörtelwand zu. »Aus der Kleidung könnte man vielleicht schließen, dass das Kind weiblichen Geschlechts ist«, meinte sie schließlich mit kaum
merklichem Sarkasmus. »Aber Genaueres kann ich erst sagen, wenn ich es richtig untersucht und Röntgenaufnahmen gemacht habe.« Sie spähte in den noch nicht freigelegten Teil der Wandnische. »Von der Körperlänge ausgehend würde ich schätzen, dass das Kind noch kein Jahr alt war, aber es war auch kein Neugeborenes.«
Babcock schnaubte verächtlich. »Sehr hilfreich.«
»Haben Sie Wunder erwartet, Chief Inspector?«
Er glaubte ein amüsiertes Blitzen in ihren Augen zu sehen. »Ich hätte nichts dagegen.«
»Um auf Ihre erste Frage zurückzukommen«, fuhr sie fort, »wenn Ihre Mitarbeiter mit der Dokumentation des Fundorts fertig sind und wir den Leichnam abtransportieren können, werde ich im Leichenschauhaus die vorläufige Untersuchung durchführen. Und dann sehen wir weiter.« Elsworthy richtete sich auf, streifte ihre Latexhandschuhe ab und stopfte sie in eine andere geräumige Tasche, während sie zur Tür ging. Babcock hatte gerade sein Handy aus der Tasche gezogen, um Verstärkung anzufordern – er brauchte Uniformierte, um den Fundort abzusichern und mit der Befragung möglicher Zeugen beginnen zu können -, als die Rechtsmedizinerin sich noch einmal umdrehte.
»Eines kann ich Ihnen jetzt schon sagen«, begann sie, und er hielt inne, das Handy halb zum Ohr erhoben. »Dieses Kind wurde nicht bloß hastig verscharrt, um die Leiche loszuwerden. Wenn Sie meine Meinung hören wollen: Das war eine regelrechte Beisetzung.«
Als Gemma und die Kinder von ihrem Spaziergang zur Ponyweide zurückkamen, fanden sie die Küche sauber aufgeräumt und Rosemary damit beschäftigt, die Zutaten für einen Punsch zusammenzustellen. Weder Kincaid noch seine Schwester hatten sich in der Zwischenzeit gemeldet.
Sam schleppte gleich die anderen Kinder ab, um ihnen seinen Geschenkehaufen unter dem Baum zu zeigen, und Hugh war nach oben in sein Arbeitszimmer gegangen – »nur für ein paar Minuten«, wie Rosemary Gemma berichtete, wobei sie vielsagend die Augen verdrehte. »Er hat gerade eine seltene Ausgabe der weniger bekannten Weihnachtserzählungen von Dickens erworben. Wenn er einmal in einem Buch abtaucht, vergisst er sogar zu essen, wenn ich ihn nicht daran erinnere. Das klingt vielleicht ganz liebenswert, aber in Wirklichkeit kann es ziemlich lästig sein!«
Gemma hatte diese absolute, durch nichts zu störende Konzentration bei Kincaid erlebt, wenn er an einem Fall arbeitete – ja, vor nicht allzu langer Zeit hatte sie ihn fast das Sorgerecht für seinen Sohn gekostet. Ihr selbst dagegen fiel es schwer, die verschiedenen Bereiche ihres Lebens sauber voneinander zu trennen. Auch wenn sie sich auf die Arbeit konzentrierte, konnte sich ein Teil ihres Gehirns immer noch mit anderen Dingen beschäftigen – was Kincaid heute wohl für einen Tag hatte oder ob die Vorräte im Kühlschrank fürs Abendessen reichten. Sie hatte diese Unfähigkeit, ihren emotionalen Radar abzuschalten, immer als einen Fluch betrachtet, der ihrem beruflichen Ehrgeiz im Weg stand.
Aber in letzter Zeit war ihr manchmal der Gedanke gekommen, dass diese typisch weibliche Verdrahtung ihres Gehirns auch ihre guten Seiten hatte. Die Vorteile im privaten Bereich waren offensichtlich – undenkbar, dass sie Kits Anhörungstermin verpasst hätte -, aber auch im Beruf konnte eine solche Veranlagung segensreich sein.
Nach ihrer Beförderung hatte sie lernen müssen, ihre Mitarbeiter effektiv zu führen, und sie hatte festgestellt, dass ihr Gespür für Stimmungen und die Veränderungen im Beziehungsgeflecht des Teams ihr dabei eine unverzichtbare Hilfe
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