So will ich schweigen
erhellte ihr Gesicht. »Ich würde sogar sagen, es war tollkühn. Aber sie hatte schon seit Jahren immer die kompliziertesten Arbeiten im Haus erledigt und für Freunde eine Art Handwerkernotdienst angeboten – es war nun einmal das, was sie immer am liebsten gemacht hatte, schon als Kind.«
Gemma fragte sich, ob Rosemary vielleicht ein wenig neidisch auf ihre Tochter war, die der Firma ihres Mannes den Rücken gekehrt hatte, um ihren Weg allein zu machen. Hatte Rosemary auch von einem anderen Leben geträumt, das mehr bot als Kindererziehung und die Mithilfe im Geschäft ihres Mannes?
»Unser Bankberater – er ist ein alter Freund von Hugh und mir – hat ihr den Startkredit vermittelt. Caspar hat getobt, und obwohl sie sich bis jetzt über Wasser halten konnte, hat er ihr nicht verziehen. Ich glaube, sein Stolz hat mehr darunter gelitten als sein Bankkonto. Er betrachtet es als eine Art Fahnenflucht.« Rosemary wirkte ein wenig beschämt. »Aber ich sollte nicht so daherreden. Es ist nur – nun ja, ich kann mit Juliet nicht über diese Dinge sprechen, und erst recht kann ich nicht mit meinen Freundinnen in der Stadt darüber diskutieren.
Hier kennt jeder jeden und weiß über die Geschäfte des anderen Bescheid. Aber ich mache mir Sorgen um Juliet und die Kinder. Besonders um Lally – sie ist in einem so schwierigen Alter. Und ihr Vater verwöhnt sie nach Strich und Faden, was die Situation nur noch komplizierter macht.«
»Er klingt mir nicht nach einem Typ, der seine Kinder verwöhnt«, meinte Gemma. Was sie dachte, war, dass er sich nach einem kompletten Kotzbrocken anhörte.
»Tja, Väter und Töchter.« Rosemary lächelte. »Zu seiner Ehrenrettung muss ich sagen, dass er die Kinder wirklich liebt. Und er kann durchaus einen gewissen Charme an den Tag legen.«
Gemma musste etwas verdutzt dreingeschaut haben, denn Rosemary begann zu lachen. Aber ehe sie antworten konnte, schrillte das Telefon, und sie stand auf, um hinzugehen. Nach einigen halblaut gemurmelten Worten legte sie wieder auf und wandte sich zu Gemma um.
»Du wirst dir sehr bald selbst ein Bild machen können«, sagte sie forsch. »Das war Juliet; sie hat von Duncans Handy aus angerufen. Wir sollen uns alle bei ihnen treffen.«
Als Kit das Wohnzimmer seiner Großeltern betreten hatte, war es ihm vorgekommen, als hätte er es schon immer gekannt. Die Bücherregale und der verblichene Orientteppich erinnerten ihn an das Haus von Gemmas Freundin Erika, nur dass hier statt eines Flügels zwei große, abgestoßene braune Ledersofas den Raum beherrschten. An den wenigen Stellen, wo die Wand nicht mit Büchern bedeckt war, hingen gerahmte Karikaturen merkwürdig aussehender Leute und noch viel merkwürdiger aussehender Hunde. Im Kamin brannte ein kleines Feuer, und die Ecke nahe dem Fenster war mit einer riesigen Tanne ausgefüllt.
Sam kauerte unter dem Baum und stapelte Pakete auf einen
Haufen. »Ich hab mehr als alle anderen!«, rief er triumphierend, während er noch ein weiteres Geschenk unter den Zweigen herausfischte. Toby kniete neben ihm, und Kit konnte an der Miene seines Bruders ablesen, dass er sich fragte, ob unter dem Weihnachtsbaum wohl auch Geschenke für ihn waren.
»Quatsch«, sagte Lally. Sie thronte auf einem Polsterhocker und blickte hochmütig auf ihren kleinen Bruder herab. »Und interessieren tut das auch keinen. Du bist doch ein Wichser.« Mit halb geschlossenen Lidern schielte sie zu Kit herüber, wie um zu sehen, ob er von ihrem Vokabular beeindruckt war. Das war er. Er hoffte nur, dass sie nicht merkte, wie er errötete, während sein Blick unwillkürlich zur Tür ging. Gemma hätte ihm eine schallende Ohrfeige gegeben, wenn er so ein Wort in den Mund genommen hätte, und er wollte nicht, dass sie schlecht von Lally dachte.
»Gar nicht wahr.« Sam ließ kurz von seinen Geschenkpaketen ab, um seiner Schwester einen finsteren Blick zuzuwerfen, während Toby, der allmählich das Interesse daran verlor, die Schätze eines anderen zu bewundern, zum Kamin schlenderte.
»Du weißt ja gar nicht, was das heißt.«
»Doch weiß ich das. Es …«
Bevor Sam sie alle aufklären konnte, schwatzte Toby dazwischen. »Kit! Kit, schau mal! Da stehen unsere Namen drauf.« Er zeigte auf die Strümpfe, die am Kaminsims hingen. Es waren vier, jeder mit einem anderen Weihnachtsmuster, und ihre breiten Samtstulpen waren mit Namen bestickt. Toby streckte sich und fuhr die Buchstaben auf dem letzten Strumpf mit dem Finger nach. »Da
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