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So will ich schweigen

So will ich schweigen

Titel: So will ich schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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wenn sie in ihrem unsteten Leben auf dem Kanal den gesuchten Frieden kaum gefunden hatte.
    Das gedämpfte Wummern eines Dieselmotors verriet ihr, dass ein Kanalboot sich näherte. Als Annie sich zum Hafenbecken umdrehte, erblickte sie unten auf dem Wasser ein Licht, das sich bewegte. Als das Boot in den Aquädukt einfuhr und an ihr vorbeiglitt, grüßte die eingemummte Gestalt an der
Ruderpinne sie mit einem stummen Nicken. Annie sah dem Licht des Boots nach, bis es verschwunden war. Dann wandte sie den Blick wieder zu den schneeglitzernden Dächern von Nantwich um. Plötzlich fühlte sie sich nicht mehr so einsam.
    Was hindert dich denn daran?, fragte sie sich. Nur ein kurzer, strammer Spaziergang allein durch die Straßen der Stadt. Sie würde in die Mitternachtsmesse in St. Mary’s gehen, und auf ihre Weise würde sie jene Dinge feiern, für die sie dankbar war.

5
    Babcock musste grinsen, als er seinen alten Kumpel davonfahren sah. Er hatte Kincaid in die Augen geschaut, als dieser seine normalerweise so beherrschten Züge einen Moment lang entspannt hatte, und er hatte die nackte Jagdlust darin aufblitzen sehen. Es erfüllte ihn mit einer merkwürdigen Befriedigung, eine verwandte Seele gefunden zu haben, die so überraschend aus seiner fernen Vergangenheit aufgetaucht war.
    Etwas Kühles, Feuchtes berührte leicht seine Wange, und als er aufblickte, sah er, dass es wieder zu schneien begonnen hatte. »Verdammter Mist«, brummte er und schielte zum Himmel hinauf, der so tief hing, dass er glaubte, ihn berühren zu können. Mit einer ungehaltenen Geste strich er sich die immer dichter fallenden Flocken aus den Haaren und stapfte seinen Kollegen von der Spurensicherung hinterher. Seine gute Laune war mit einem Schlag verflogen.
    An der offenen Tür des Stalls blieb er stehen. Der zukünftigen Tür, präzisierte er in Gedanken, denn jetzt konnte er sehen, dass die Öffnung nur mit einem grob gezimmerten Holzrahmen eingefasst war. Drinnen herrschte das übliche Baustellenchaos – Bretter und Eimer lagen umher, eine Motorsäge lehnte am Fuß eines hölzernen Sägebocks. Nahe der rückwärtigen Wand hatte jemand eine Spitzhacke auf den Lehmboden fallen lassen, deren Blatt im Schein einer batteriebetriebenen Lampe funkelte.
    Clive Travis, der Leiter der Spurensicherung, stand gleich hinter dem Eingang und mühte sich, einen Schutzanzug aus
Papier über seine dicke Winterkleidung zu bekommen. Travis war ein kleiner, hagerer Mann, der sein schon etwas schütteres strohblondes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden trug und dessen drahtige Erscheinung sich in seinem energischen Temperament spiegelte. An diesem Abend allerdings wirkte er nicht gerade glücklich, und die Begeisterung seiner Kollegin schien sich ebenfalls in Grenzen zu halten. Sandra Barnett, die Tatortfotografin, arbeitete schnell und professionell, erweckte aber stets den Eindruck, als würde sie lieber etwas anderes machen. Und heute Abend sah ihr breites Gesicht ganz besonders bedrückt aus.
    »Na, was haben wir denn hier, Leute?«, fragte Babcock. Nachdem er seinen Mantel ausgezogen und ihn mit säuerlicher Miene einem Constable in die Hand gedrückt hatte, ließ er sich von Travis Handschuhe und Schutzanzug reichen. Ihre Bemühungen, die Verunreinigung von Spuren zu vermeiden, waren mit Sicherheit die reinste Zeitverschwendung – die Tat lag schließlich sehr lange zurück, und der Fundort der Leiche war die ganze Zeit über frei zugänglich gewesen -, aber die Vorschriften mussten nun einmal befolgt werden. Es war sein Kopf, der rollen würde, wenn sie irgendetwas verbockten, und er war nicht zu seiner jetzigen Position aufgestiegen, indem er gegen die Vorschriften rebelliert hatte. Jedenfalls nicht allzu oft.
    »Sehen Sie selbst, Chef.« Nachdem Babcock ordnungsgemäß verpackt war, drückte Travis ihm eine Taschenlampe in die frisch behandschuhte Hand. »Das Kindlein in der Krippe, wenn Sie so wollen.«
    Sandra Barnett sah Travis von der Seite an und knallte ihre Kameratasche mit unnötiger Wucht auf den Boden. Babcock konnte ihr die Verärgerung über Travis’ Pietätlosigkeit nicht ganz verdenken, aber das war genau einer der Gründe, weshalb er den Mann mochte. Ein anderer war Travis’ Sinn fürs Bizarre – und bizarr war dieser Fall zweifellos.

    Von dort, wo er stand, konnte Babcock das Loch sehen, das die Spitzhacke in die Rückwand gerissen hatte, und darin einen rosa Stofffetzen sowie etwas, was wie ein Haufen kleiner brauner Zweige

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