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So will ich schweigen

So will ich schweigen

Titel: So will ich schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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aufgestört, das man nicht erschrecken durfte.
    Nur eines trübte seinen Genuss an der Messe. Das letzte Lied war »Away in a Manger«, ein Stück, das er ohnehin noch nie gemocht hatte. Er fand den Text kitschig, die Melodie unmöglich, und an diesem speziellen Abend beschwor das Lied über das »Kind in der Krippe« ein Bild herauf, das er vergeblich zu verdrängen suchte. Er blickte sich zu Juliet um und sah sie mit zusammengekniffenen Lippen dastehen, die Miene angespannt, die Hände krampfhaft um die Rückenlehne der Vorderbank geklammert. Sie hatte also auch an jenes andere Kind in der Krippe gedacht, das so gar keinen Anlass zum Feiern darstellte.
    Dann begann der Schlusschoral, und nachdem der Chor die Kirche verlassen hatte, reihten sie sich in die Schlange derer ein, die noch den Pfarrer begrüßen und ihm ein frohes Fest wünschen wollten. Kincaid entdeckte Caspar Newcombe, der etwas abseits stand, Hände schüttelte und mit anderen Besuchern plauderte, wobei er seine eigene Familie völlig ignorierte. Neben ihm stand ein kräftiger, gut aussehender Mann, dessen elegant geschnittener Anzug nicht ganz darüber hinwegtäuschen konnte, dass er ein paar Kilo zu viel mit sich herumtrug.
Seine attraktiven Züge und sein welliges blondes Haar ließen Kincaid an einen Filmstar denken – aus den alten Kintoppzeiten, als die Schauspieler noch wie Männer und nicht wie androgyne Jünglinge ausgesehen hatten. Auch er schüttelte eifrig Hände, aber im Gegensatz zu Caspar war er dabei nicht allein. Neben ihm stand ein hoch aufgeschossener Junge, dessen gelangweiltes Gesicht unverkennbar die Züge des Mannes an seiner Seite trug und dessen blondes Haar sich vielleicht ebenfalls gewellt hätte, wäre es nicht kurz geschnitten gewesen.
    »Wer ist denn der Typ da bei Caspar?«, flüsterte er seiner Mutter zu, die neben ihm in der Schlange stand.
    Rosemary sah ihn überrascht an. »Das ist doch Piers Dutton, Caspars Partner. Ich wusste gar nicht, dass du ihn noch nicht kennst. Und das da ist sein Sohn Leo. Er ist ein Klassenkamerad von Lally.«
    Das war also der Partner, um den es bei Caspars Streit mit Juliet unter anderem gegangen war. Auf den ersten Blick hätte Kincaid sich kaum einen Mann vorstellen können, der seine Schwester weniger interessiert hätte – aber andererseits hätte er das bei Caspar auch nicht unbedingt gedacht.
    »Caspar und Piers lassen keine Gelegenheit aus, ihre Beziehungen aufzufrischen«, sagte seine Mutter. Obwohl sie leise sprach, war der bissige Ton unüberhörbar. »Die Mitglieder des Kirchenvorstands gehören zu ihren besten Kunden.«
    »Irgendwie überrascht mich das n…«
    Kincaid blickte sich um, als ihn jemand leicht von der Seite anrempelte und eine gemurmelte Entschuldigung folgen ließ. Eine Frau hatte sich an ihm vorbeigeschoben, um aus der Schlange auszubrechen und direkt den Ausgang anzusteuern. Obwohl sie den Kopf gesenkt hielt und jeden Blickkontakt mit den Umstehenden mied, erkannte er die etwas zerzauste blonde Kurzhaarfrisur und die schlanke Figur.
Überrascht registrierte er, wie sportlich ihre Bewegungen wirkten.
    Es war die Frau aus der Reihe hinter ihnen, die so schön gesungen hatte, und sie ging, wie sie gekommen war – allein.

7
    Die Newcombes waren alle vier gemeinsam von der Kirche nach Hause gegangen. Sam und Lally marschierten mit ihrem Vater voran, während Juliet die Nachhut bildete. Jeder, der sie sah, musste sie für eine richtige Familie halten, dachte Juliet – die Kinder ganz zappelig vor Kälte und Aufregung, der Vater fürsorglich, die Mutter erschöpft von ihren Weihnachtsvorbereitungen.
    Doch als sie zu Hause angekommen waren, war Caspar sogleich wortlos in seinem Arbeitszimmer verschwunden, und Juliet war mit den Kindern nach oben gegangen. Als Sam und Lally beide in ihren Betten lagen, gab sie ihnen noch einen Gutenachtkuss und ging dann in ihr Schlafzimmer, wo sie sorgfältig und mit Bedacht den Schlüssel im Schloss umdrehte.
    Schwer atmend lehnte sie sich gegen die Tür. Ihre Hände zitterten, und das Blut pochte in ihren Schläfen. Es war vorbei. Ihre Ehe war am Ende. Sie konnte es nicht länger leugnen. Sie hatte sich lange mit seinem Sarkasmus arrangiert, mit den verhüllten Anschuldigungen, dem Spott; sie hatte nicht wahrhaben wollen, wie weit der Zerfall schon fortgeschritten war.
    Aber heute Abend war Caspar zu weit gegangen. Die Dinge, die er ihr an den Kopf geworfen hatte, die Art und Weise, wie er sie vor ihrer Familie gedemütigt

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