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So will ich schweigen

So will ich schweigen

Titel: So will ich schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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mal mit ihr durch.
    »Gemma?« Hughs warme Stimme ertönte neben ihr. »Ist alles in Ordnung?«
    »Ja.« Sie nahm den Arm, den er ihr anbot, und blickte lächelnd zu ihm auf. »Alles in Ordnung.«
     
    Der Geruch nach altem Weihrauch, wurmstichigem Holz und feuchtem Stein bestürmte Duncan Kincaid mit der Wucht eines Orkans, als er seiner Familie durch das Portal in die Vorhalle von St. Mary’s folgte. Diese Flut von Erinnerungen, ausgelöst durch einen bestimmten Geruch, überwältigte ihn jedes Mal, wenn er eine Kirche betrat, aber am intensivsten war sie immer in St. Mary’s.
    Hier hatte er viele Stunden seiner Kindheit zugebracht – in der Kathedrale von South Cheshire, wie sie oft genannt wurde. In Wirklichkeit war es nur eine Stadtkirche, doch sie zählte zu den schönsten in ganz England, erbaut in den Dimensionen einer Kathedrale von denselben Steinmetzen, die am Münster von York gearbeitet hatten, und später vollendet von den Männern, die die Kathedralen von Gloucester und Lichfield gebaut hatten.
    Der Innenraum war gewaltig, aber ihm kam er anheimelnd,
fast gemütlich vor. Wenn er die Augen schloss, konnten seine Füße die ausgetretenen Stellen in den Steinfliesen finden, seine Fingerspitzen die Kerben und Rillen, die gelangweilte Kinder in die Rückseiten der Bänke geritzt hatten. Hier war er zur Messe gegangen, hier war er getauft und konfirmiert worden.
    Sein Vater, der schon früh gegen seine schottisch-presbyterianische Erziehung rebelliert hatte und sich als »intellektuellen Agnostiker« bezeichnete – oder war es »agnostischer Intellektueller«? -, war immer dagegen gewesen. Doch seine Mutter hatte auf dem Standpunkt beharrt, dass der Mensch nun einmal ein Bedürfnis nach festen Strukturen habe, nach Disziplin und Ritualen, nach dem Gefühl des Aufgehobenseins in einer Gemeinschaft, das die Kirche biete, nach etwas, das die Grenzen des Individuums überstieg. Seine Mutter hatte wie üblich den Sieg davongetragen, doch es war eines jener Themen, die in Duncans Kindheit im Haus und im Buchladen immer wieder lebhaft diskutiert worden waren.
    In der Vorhalle, wo sich die Schar der Kirchgänger vor dem Durchgang zum Hauptschiff staute, roch es nach Schweiß und nasser Wolle. Vor sich konnte Kincaid seine Eltern sehen, dann erspähte er Juliets dunklen Kopf in der Menge. Er wusste, dass Sam, obwohl er ihn im Moment nicht sehen konnte, an der Hand seiner Mutter hing. Ein wenig überrascht hatte Kincaid zur Kenntnis genommen, dass Caspar sich ihnen angeschlossen hatte, als sie zum Kirchgang aufgebrochen waren, doch jetzt schien er im Gedränge untergetaucht zu sein.
    Kincaid hatte die Fingerspitzen auf Gemmas Schulter gelegt, um zu verhindern, dass sie getrennt wurden, und Toby, dessen Aussicht auf Mantelschöße und Handtaschen beschränkt war, stupste ihm gegen das Bein wie ein frustriertes Kälbchen.
    »Wo ist Kit?«, fragte Toby und zupfte an Kincaids Hosenbein. Seine Stimme klang schon bedenklich quengelig. »Ich will zu Kit.«

    Die normale Schlafenszeit des Fünfjährigen war längst vorbei, und sie würden von Glück sagen können, wenn sie den Gottesdienst ohne eine Heuleinlage hinter sich brachten. Kincaid bückte sich und hievte den Jungen auf seine Hüfte, eine schwerere Übung als noch vor ein paar Monaten. »Wir halten beide Ausschau nach ihm«, schlug er vor, »und wenn du ihn zuerst siehst, kriegst du von mir ein Pfund für den Klingelbeutel. Abgemacht?«
    »Abgemacht«, stimmte Toby zu, der jetzt schon viel zufriedener wirkte.
    In diesem Augenblick setzte der Organist mit einem Bach-Präludium ein, und der mächtige Ton erfüllte den hohen Raum wie ein Donnergrollen, das durch Mark und Bein drang. Ein plötzliches Glücksgefühl durchströmte Kincaid, und er fasste Gemmas Schulter ein wenig fester. Sie blickte sich überrascht zu ihm um, und er sah seine Freude in ihrer Miene gespiegelt.
    »Der Organist war immer schon gut«, sagte er voller Lokalstolz.
    Doch Gemmas Aufmerksamkeit war schon von etwas anderem gefesselt. »Die Fenster sind wunderschön«, sagte sie, den Blick gebannt nach oben gerichtet. »Aber das da« – sie zeigte darauf -, »das ist doch modern, oder?«
    Kincaid sah in die Richtung, in die ihr Finger deutete. »Ah. Das ist das Bourne-Fenster. Mir persönlich gefällt es am besten von allen, obwohl es erst eingebaut wurde, nachdem ich schon weg war. Es erinnert an einen hiesigen Bauern namens Albert Bourne und stellt die Vielfalt der Schöpfung dar.« Er deutete

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