So will ich schweigen
auf die einzelnen Elemente, während er sie erklärte. »Siehst du die Hand Gottes dort ganz oben im Bogen? Und darunter sind die kreisenden Sterne und Planeten des Universums, dann die Vögel des Himmels und die Geschöpfe des Meeres und darunter die wilden Tiere und Pflanzen der
Erde.« Seine Hand hatte das untere Drittel des Fensters erreicht. »Aber jetzt kommt die Überraschung. Der Künstler geht vom Allgemeinen zum Besonderen über. Das da sind die sanften Hügel von Cheshire. Und das da in der Mitte ist ein typisches Cheshire-Backsteinhaus. Dann kommen die Tiere des Hofes, des Feldes und des Waldes – und da rechts, das ist das Allerbeste.«
Gemma suchte eine Weile und lachte dann überrascht auf, als sie sah, was er meinte. »Da ist ein Mann, der mit seinem Spaniel über die Felder geht.«
»Bourne höchstpersönlich. Kein Mann könnte sich ein passenderes Denkmal wünschen – und natürlich auch keine Frau«, fügte er hastig hinzu, als er ihren vorwurfsvollen Blick sah. »Aber der Hund ist kein Cocker wie Geordie, sondern ein Springerspaniel, glaube ich.«
»Da ist Kit!«, rief Toby, der von seinem Ausguck aus über die Köpfe der langsam vorrückenden Menge gespäht hatte. »Und Lally.«
Die beiden Teenager saßen nicht vorne, wie Kincaid erwartet hatte, sondern ungefähr in der Mitte des Kirchenschiffs nahe dem Seitengang. Zwischen ihnen war eine Lücke von gut einem Meter, und als Kincaid näher kam, sah er, dass sie die Plätze mit Mänteln, Mützen und Handschuhen belegt hatten.
»Mehr war nicht drin«, sagte Lally zu ihrer Mutter, als die Gruppe die Bank erreicht hatte. »Die Kirche war schon fast voll, als wir kamen. Und die Leute gucken uns schon ganz komisch an.«
»Das macht doch nichts«, versicherte Juliet ihr. »Jetzt sind wir ja da. Dann müssen wir halt ein bisschen enger zusammenrücken.«
»Wo ist denn Papa?«, fragte Lally, während Kit aufstand, um für sie Platz zu machen.
»Ach, der muss hier irgendwo sein«, antwortete Juliet beiläufig,
als ob es sich nur um einen verlegten Handschuh handelte, doch Kincaid glaubte nicht, dass sie damit irgendjemanden täuschen konnte, schon gar nicht Lally.
»Ich will neben ihm sitzen.«
»Tja, vorläufig musst du leider mit mir vorliebnehmen«, gab Juliet gereizt zurück. Ihre mühsam gewahrte Fassade der Normalität bröckelte offenbar schon. »Du ziehst jetzt nicht los, um ihn zu suchen. Die Messe fängt jeden Moment an.«
Jeder weitere Wortwechsel wurde unterbunden, als das Orgelspiel nun abbrach und die Gemeinde verstummte. Während die Familie sich in die Lücke zwängte, die eigentlich nur für die Hälfte der Personen Platz bot – Kincaid mit dem Arm um Gemmas Schultern und Toby auf dem Schoß -, begann die Prozessionshymne.
Kincaid stellte fest, dass ihm die Abfolge von Lesungen und Liedern noch so vertraut war wie eh und je. Er war zu Hause, und nichts hatte sich verändert – oder wenn, dann zum Besseren. Er war jetzt mit seiner eigenen Familie hier, mit Gemma und den Jungen, und es schien ihm, dass die Bruchstücke seines Lebens sich endlich zu einem Ganzen fügten.
Wie um seine Gedanken zu unterstreichen, stimmte der Chor nun »O Holy Night« an, eines seiner liebsten Weihnachtslieder, und die ganze Gemeinde fiel ein. Hinter ihm sang eine Frau mit einem klaren Alt – keine ausgebildete Stimme, aber kräftig und sicher, mit einem glockenreinen Klang, der ihm einen Schauer über den Rücken jagte.
Seine Neugier trug bald den Sieg über seine guten Manieren davon, und er drehte den Kopf, bis er die Sängerin sehen konnte. Sie war hoch gewachsen, mit kurzem, ergrauendem blondem Haar. Tiefe Sorgenfalten zeichneten ihr ausdrucksvolles, schmales Gesicht. Er schätzte, dass sie kaum älter war als er selbst, und sie schien zu keiner der Familien um sie herum zu gehören.
Als sie seinen Blick bemerkte, wurde die Stimme der Frau unsicher, und schließlich brach sie ganz ab, den Blick starr auf Kincaid gerichtet.
Peinlich berührt durch den alarmierten Ausdruck in ihren Augen, nickte Kincaid nur und schenkte ihr ein – wie er hoffte – beruhigendes Lächeln, eher er sich wieder umdrehte und in den Gesang einfiel. Nach einer Weile begann auch sie wieder zu singen, zögernd zunächst, dann aber immer sicherer, als ob die Musik sie trüge. Während des ganzen restlichen Gottesdienstes lauschte er auf ihren Gesang, wagte es aber nicht mehr, sich umzudrehen. Es war ihm, als hätte er ein scheues Tier in seinem Versteck
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