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So will ich schweigen

So will ich schweigen

Titel: So will ich schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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hatte liegen lassen. Ihr feines weißes Haar war zu einem Lockenkranz frisiert, ihre Nägel in der gleichen grellen Farbe lackiert wie ihr Kostüm.
    »Du siehst hinreißend aus«, versicherte ihr Ronnie, als er sich zu ihr herabbeugte, um ihre pergamentartige Wange zu küssen.
    »Da hab ich aber auch was davon.« Ihre Stimme war immer noch kräftig, nur ein wenig heiser, was wahrscheinlich auf die filterlosen Zigaretten zurückzuführen war, die sie früher immer
geraucht hatte. Doch ihre Knochen fühlten sich zerbrechlich an wie trockene Zweige, als er ihr die Hand auf die Schulter legte, und sie wirkte hinfälliger, als er sie von seinem letzten Besuch in Erinnerung hatte.
    »Wo sind denn all die anderen Insassen?«, fragte er, während er sich einen Stuhl heranzog. Es war einer ihrer Standardwitze, und sie belohnte ihn mit einem Lächeln.
    »Die meisten sind abgeholt worden und müssen den ganzen Tag ihre Familien ertragen. Da bin ich mal wieder froh, dass ich außer dir niemanden habe, der mir auf den Geist geht.« Sie sagte nie, dass sie sich über seine Besuche freute, und fragte auch nie, wann er wiederkäme, aber in diesem Moment dämmerte es ihm, dass sie sich wahrscheinlich nur ihm zu Ehren mit dem farbenfrohen Kostüm, dem Nagellack und der Festtagsfrisur herausgeputzt hatte. Sie hatte sich auf seinen Besuch gefreut, und er schämte sich plötzlich in Grund und Boden.
    Um sein Unbehagen zu kaschieren, kramte er in der Tüte und ließ sie den Whisky sehen. »Ich dachte, es ist besser, wenn die Oberschwester von diesem kleinen Geheimnis nichts mitkriegt«, flüsterte er.
    »Da hast du verdammt recht«, pflichtete Margaret ihm bei. Sie nahm ihm die Tüte ab, legte sie neben sich auf die Sitzfläche des Rollstuhls und zog die Wolldecke darüber, die auf ihren Beinen lag. »Muss ja auch seine Vorteile haben, wenn man ein Krüppel ist, sage ich immer.« Dann fixierte sie ihn mit ihren Adleraugen. »So, und jetzt erzähl mir mal, was du um diese nachtschlafende Zeit an deinem freien Tag hier machst. Ist deine Angetraute noch immer nicht zur Vernunft gekommen?« Margaret hatte noch nie ein gutes Wort für Peggy übrig gehabt, aber jetzt war Babcock wenigstens nicht mehr verpflichtet, seine Exfrau zu verteidigen.
    »Leider nicht, Tante Margaret.«
    »Da kannst du von Glück sagen«, meinte sie naserümpfend.
»Also, dann muss es wohl die Arbeit sein – es sei denn, dein überpünktliches Erscheinen ist bloß deine Methode, unsere kleine Weihnachtsfeier zu umgehen.«
    Babcock errötete – er wusste, dass er auf jeden Fall irgendeinen Grund vorgeschoben hätte, wenn sich keiner angeboten hätte. Mord und Totschlag waren sein Alltag, die Mahlzeiten im Pflegeheim aber waren mehr, als selbst er ertragen konnte.
    Margaret musste seinen inneren Kampf bemerkt haben, denn sie seufzte und meinte: »Ist ja schon in Ordnung, Junge. Ich kann es dir nicht verdenken, besonders, wenn ich an Reggie Pargetter und seine Verdauungsprobleme denke. Erzähl mir doch von deinem neuesten Fall.«
    Er sah keinen Grund, ihr die Einzelheiten zu verschweigen; das wenige, was er wusste, würde ohnehin bald allgemein bekannt sein, wenn die Lokalpresse nach der Feiertagspause wieder erschien. Und so erzählte er ihr ausführlich, was sie gefunden hatten und wo sie es gefunden hatten, und er endete mit der Bemerkung: »Ich bin gerade auf dem Weg ins Leighton Hospital zur Obduktion.«
    Margaret saß so lange schweigend und mit gesenktem Kopf da, dass er schon glaubte, sie habe ihm nicht richtig folgen können oder sei gar eingenickt. Doch dann blickte sie auf, und obwohl die Falten in ihrem Gesicht sich noch tiefer eingegraben zu haben schienen, blickten ihre Augen verständnisvoll.
    »Es war ein Akt der Verzweiflung«, sagte sie leise. »Verstehst du? Wer immer dieses Kind dort beigesetzt hat, muss unvorstellbar unter seinem Tod gelitten haben.«
     
    Der Traum begann wie immer damit, dass Kit durch das Haus in Cambridgeshire lief und seine Mutter suchte. Eine wachsende Unruhe erfasste ihn, doch die Zimmer schienen sich vor ihm in die Länge zu ziehen, als schaute er durch ein umgedrehtes Fernglas. Er rannte immer schneller, und seine Panik
wuchs, als die Zimmer sich zu Tunnels dehnten. Plötzlich tauchte vor ihm die Küchentür auf. Er blieb stehen, seine Brust schmerzte, und panische Angst lähmte seine Finger, als er nach dem Türknauf greifen wollte. Seine Mutter brauchte ihn, sagte er sich, aber seine Hand war wie Blei, seine Füße wie im

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