So will ich schweigen
deren Fehlen bedeutet noch nicht, dass man Misshandlungen ausschließen könnte. Und Leute, die ihre Kinder gut behandeln, mauern sie normalerweise auch nicht in alten Viehställen ein.«
Ihre Bemerkung veranlasste Babcock dazu, die Frage zu stellen, die er bisher zurückgehalten hatte: »Was glauben Sie, wie lange sie schon dort gelegen hat?«
Elsworthy runzelte die Stirn und setzte ihre Untersuchung einige Sekunden lang schweigend fort, ehe sie antwortete.
»Wahrscheinlich länger als ein Jahr. Das ist natürlich nur eine Vermutung.«
»Länger als ein Jahr? Also vielleicht fünf oder zehn oder fünfzehn oder zwanzig? Mehr können Sie mir nicht sagen?«
Diesmal war Babcock der Adressat des finsteren Blicks der Rechtsmedizinerin. »Haben Sie Wunder erwartet? Der Grad der Mumifikation dürfte vom Kalkanteil im Mörtel und im Stein beeinflusst worden sein. Durch die Laborergebnisse können wir die Zeitspanne vielleicht ein wenig einengen, aber vorläufig kommen Sie mit der Kleidung wahrscheinlich weiter.
Sowohl der Strampelanzug als auch die Decke scheinen synthetische Fasern zu enthalten, und die Druckknöpfe des Strampelanzugs sind nur teilweise verrostet. Und« – sie hielt inne, scheinbar um die Brusthöhle des Kindes genauer in Augenschein zu nehmen, doch Babcock hatte inzwischen den Verdacht, dass es ihr einfach Spaß machte, ihn zu ärgern – »das Beste ist, dass an dem Strampelanzug noch ein Etikett hängt.«
»Wa…«
Sie deutete mit einem Nicken auf ihre Assistentin. »Ich habe die Angaben zur Marke aufgeschrieben. Der Hersteller sollte Ihnen zumindest einen Produktionszeitraum nennen können.«
»Na, wunderbar«, entgegnete Babcock missmutig. Zu wissen, in welchem Zeitraum die Decke oder der Strampelanzug hergestellt worden waren, würde ihnen den frühestmöglichen Zeitpunkt liefern, mehr aber auch nicht. Die Sachen hatten möglicherweise jahrelang in irgendeinem Schrank gelegen, ehe sie bei der unkonventionellen Beisetzung Verwendung gefunden hatten. »Bei der Herstellerfirma werden wir frühestens am 27. jemanden erreichen.« Es würde Rasanskys Job sein, diese Informationen einzuholen.
Die Pathologin ignorierte sein Gegrummel und sagte nachdenklich:
»Wie Sie sehen, war das Kind zwar mit einem Strampelanzug bekleidet und in eine Decke gehüllt, trug aber keine Windel. Das ist ziemlich seltsam, finden Sie nicht? Es deutet darauf hin, dass das Kind erst nach seinem Tod angekleidet – oder wieder angekleidet – wurde. Das wiederum mag ein Hinweis auf die Fürsorge der Person sein, die es beigesetzt hat, könnte aber andererseits auch Teil eines Rituals sein, das der Täter zur Steigerung seiner Befriedigung braucht.«
»Sie wollen doch nicht etwa behaupten, dass wir es mit einem Serien-Babymörder zu tun haben?«
Elsworthy zuckte mit den Achseln. »Angesichts des Fehlens schwerer Verletzungen eher unwahrscheinlich, aber man sollte immer für alle Möglichkeiten offen sein, Chief Inspector. Ich nehme an, Ihre Suche nach den früheren Grundstückseigentümern war bisher erfolglos?«, fragte sie mit einer leisen Andeutung von Mitgefühl. »Es ist doch zu vermuten, dass die Mörtelarbeiten von einem der Eigentümer ausgeführt wurden, oder wenigstens mit dessen Wissen.«
Babcock schüttelte den Kopf. »Die Smiths, bei denen es sich angeblich um ein höchst ehrbares älteres Ehepaar handelt, sind spurlos verschwunden.«
Als Annie das Boot aus dem Hafenbecken von Nantwich Richtung Norden steuerte, hatte sie das Gefühl, eine Oase der Ruhe zu verlassen. Nicht, dass auf dem Kanal sehr viel mehr los gewesen wäre, doch während ihres kurzen Aufenthalts im Canal Centre war sie mit sich und der Welt im Einklang gewesen wie schon lange nicht mehr. Sie hatte Roger angerufen und ihm auf den Anrufbeantworter gesprochen, dass sie sich gerne mit ihm zum Weihnachtsessen treffen würde. Wie sie Roger kannte, hatte er wohl gerade Jazz ausgeführt, den Schäferhund, den er sich gekauft hatte, nachdem sie ausgezogen war – sein Trostpreis, wie er ihr erklärt hatte. Sie nahm an, dass
der Hund sich als der unkompliziertere Hausgenosse erwiesen hatte.
Und sie hatte sich entschlossen, den Besuch tatsächlich zu machen, auch wenn es wahrscheinlich vergebliche Liebesmüh wäre. Sie konnte nicht damit rechnen, das Boot der Wains noch dort zu finden, wo sie es gestern gesehen hatte, oder dass Rowan Wain überhaupt mit ihr reden würde, wenn sie es tatsächlich fände, aber nachdem sie ihren Entschluss gefasst
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