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So will ich schweigen

So will ich schweigen

Titel: So will ich schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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Skizze in den Schnee. »Das war der Hauptarm des Shropshire Union, der grob in nördlicher Richtung nach
Chester und Ellsmere Port verläuft.« Dann zeichnete er eine andere Linie, welche die erste im rechten Winkel schnitt, und deutete mit dem Kopf auf den Kanal vor ihnen. »Das da ist der Middlewich-Arm, der sich von hier nach Nordwesten schlängelt, in Richtung Manchester. Die zwei kreuzen sich bei Barbridge, wo wir gestern Abend von der Hauptstraße abgebogen sind. Ist eine ganz schöne Herausforderung, ein Boot an der Barbridge Junction um die Kurve zu manövrieren, das kann ich dir sagen.«
    »Können wir uns das mal anschauen?«, fragte Kit mit einer unverfälschten Begeisterung, die Kincaid überraschte.
    »Wüsste nicht, was dagegen spricht.« Er hatte sowieso in diese Richtung gehen wollen und freute sich, dass er etwas gefunden hatte, wofür sein Sohn sich interessierte. Sie gingen weiter durch das Gatter im Grundstückszaun und hinunter zum Leinpfad. Hier war der Schnee von vielen Menschenfüßen und Hundepfoten festgetrampelt. Kahle Bäume zeichneten sich wie dürre Skelette vor dem Schnee ab, und in der Ferne kreisten drei schwarze Vögel. Krähen, dachte Kincaid, auf der Suche nach Aas – und das, wenn er sich nicht täuschte, ganz in der Nähe des Schauplatzes von Juliets grausigem Fund.
    Nicht, dass sie dort noch irgendetwas hätten finden können, aber die Beobachtung hatte ihm den gestrigen Vorfall in Erinnerung gebracht, und er fragte sich, wie weit die Ermittlungen wohl gediehen waren. Hatten sie das Kind inzwischen identifiziert? Solche »kalten« Fälle, bei denen die Tat schon sehr lange zurücklag, waren immer die schwierigsten. Da brauchte er seinen ehemaligen Schulfreund Ronnie nicht zu beneiden – das versuchte er sich jedenfalls einzureden, doch die Neugier ließ sich nicht so leicht unterdrücken.
    Er dachte an Juliet und fragte sich, ob das Bild des toten Kindes sie wohl verfolgte. Hatte es sie vielleicht dazu getrieben, den Bauplatz noch einmal aufzusuchen – das und die Sorge
um die Zukunft ihres Projekts? Und überhaupt, was lief da eigentlich zwischen Juliet und Caspar ab?
    »Denkst du, dass mit Tante Juliet alles in Ordnung ist?«, fragte Kit, als hätte er seine Gedanken gelesen.
    »Natürlich. Deine Tante Jules ist zäher, als sie aussieht, und sie kann durchaus auf sich selbst aufpassen. Ich bin sicher, dass sie einen guten Grund hatte, für eine Weile zu verduften«, antwortete er, aber während er dies sagte, wurde ihm klar, wie wenig er tatsächlich über seine Schwester wusste.
    Es ging nur ein schwacher Wind, und in dem strahlenden Sonnenschein hatte er zunächst gar nicht gefroren. Jetzt aber stellte er fest, dass er seine Nase und seine Ohrmuscheln kaum noch spürte, und selbst in den Handschuhen wurden seine Finger allmählich steif. Er vergrub die Hände tief in den Manteltaschen und sagte: »Juliet hat diesen Spaziergang als Kind geliebt. Sie konnte von morgens bis abends durch die Gegend streifen und das bei jedem Wetter. Sie hat immer gesagt, wenn sie mal groß wäre, wollte sie Entdeckerin werden, so wie Ranulph Fiennes.« Sie war so voller Träume gewesen, seine Schwester. Hatte irgendetwas in ihrem Leben sich so entwickelt, wie sie es sich ausgemalt hatte?
    »Aber jetzt hat sie stattdessen eine Baufirma. Ist das nicht ein komischer Beruf für eine Frau?«
    Kincaid lächelte. »Lass dich mal lieber nicht von Gemma bei so einer Bemerkung erwischen. Das ist auch nicht komischer, als wenn eine Frau Kriminalbeamtin wird. Und Jules war immer schon handwerklich begabt. Mein Vater hat uns früher oft Bühnenbilder gebaut, und Jules hat ihm dabei geholfen.«
    »Ihr habt Theaterstücke aufgeführt?«, fragte Kit mit einem sehnsüchtigen Unterton.
    Schon meldete sich Kincaids schlechtes Gewissen. War er nicht ständig zu beschäftigt? Ließ ihm seine Arbeit genug Zeit für seinen Sohn?

    »Meistens Shakespeare«, antwortete er mit erzwungener Munterkeit. »Für den hatte mein Papa eine besondere Schwäche. Früher konnte ich ganze Passagen aus Hamlet auswendig deklamieren, aber inzwischen habe ich alles vergessen.«
    Plötzlich stand ihm das Bild eines strahlenden Sommernachmittags vor Augen, und er sah Juliet als Ophelia, ausgestreckt auf einer blauen Plastikplane, die sie als Bach zweckentfremdet hatten. »Kannst du nicht ein bisschen anmutiger sterben?«, hatte er genörgelt, und sie hatte sich aufgesetzt und ihn finster angestarrt.
    »Tote sehen nun mal nicht anmutig

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