So wirst du stinkreich im boomenden Asien: Roman (German Edition)
bei eurem zweiten Besuch eine Woche später von Testergebnissen bestätigt. Die Ärztin erklärt, bei früher und angemessener Behandlung sei das durchaus heilbar. Im Fall deiner Mutter ist die Gelegenheit einer frühen Behandlung längst vorbei, doch eine operative Entfernung der Schilddrüse birgt noch Hoffnung.
»Was würde das kosten?«, fragt die Matriarchin.
»Einschließlich Medikamenten, Anästhesie und Gesundung?«
»Auf einer Gemeinschaftsstation.«
Die Ärztin nennt eine Zahl, die höher ist als das Jahreseinkommen deines Vaters.
»Und ohne die Operation?«, fragt die Matriarchin.
»Wird sie sterben.«
Die Matriarchin überlegt. Du betrachtest deine Mutter. Sie schaut starr geradeaus.
»Nun gut«, sagte die Matriarchin.
Die Ärztin schaltet ein klingelndes Handy in der Tasche ihres Kittels stumm. »Dann wäre da noch die laufende Behandlung. Hormone, Strahlentherapie.«
»Das wird in der Verantwortung ihrer Familie liegen. Ist es wahrscheinlich, dass die Operation allein sie heilen wird?«
»Möglich wäre es.«
»Gut.«
»Aber dieser Fall ist fortgeschritten. Normalerweise würden wir einige Wochen später Radiojod geben, dann …«
»Bitte erklären Sie das alles ihrer Familie.«
Die Ärztin kommt nach draußen und tut es. Dein Vater sieht wiederholt zu dir hin, und jedes Mal nickst du. Er dankt der Matriarchin unter Tränen, dass sie sich bereit erklärt hat, die Operation zu bezahlen. Er lächelt blinzelnd und tritt von einem Bein aufs andere. Er neigt den Kopf vor ihr, immer wieder, eine Geste wie ein nervöses Zucken. Seit deiner Kindheit hast du ihn nicht mehr in Gegenwart eines seiner Arbeitgeber gesehen. Ihn so zu betrachten verstört dich.
Am meisten aber berührt dich die Miene deiner Mutter. Bis jetzt hat sie sich rundweg der Annahme verweigert, dass sie nicht bald wieder gesund wird.
»Es wird nicht weh tun«, flüsterst du ihr zu. »Sie werden dich betäuben.«
»Ich habe vier Kinder zwischen meinen Beinen herausgepresst«, flüstert sie zurück. »Ich kann mit Schmerz umgehen.«
Du lächelst, aber nur kurz, denn beim Blick auf sie erkennst du, dass sie zum ersten Mal sicher ist, an ihrem Leiden zu sterben.
Die Beziehung zwischen deinem Vater und dir ist angespannt, missbilligt er doch deinen Bart und die Organisation, der du dich angeschlossen hast. Aber im Lauf der folgenden Tage baut er stark auf dich. In der Art, wie er dich beobachtet, wenn du einer Krankenschwester zuhörst, mit einem Apotheker sprichst oder ein Klinikformular ausfüllst, liegt Ehrerbietung. Er hat nie viel geredet, aber als du jünger warst, konnte er sich gut über den Körper ausdrücken, und zu dieser Kommunikationsform kehrt er nun zurück. Er legt den Arm um dich. Er tätschelt dir den Rücken. Diese Gesten tun gut, auch wenn es merkwürdig ist, dass der Mann, der sie ausführt, kleiner als du geworden ist.
Deine Mutter wird nach der Operation lebend nach Hause gebracht. Sie ist von ihrem verletzten Zustand verblüfft wie ein Soldat, der angeschossen wurde, aber noch kein Blut sieht. Das Trauma, das ihr Körper im Operationssaal erlitten hat, hat sie geschwächt, und da die Entfernung ihrer Schilddrüse und der Lymphknoten die Zergliederung beträchtlicher Teile ihres Halses bedingte, fällt ihr das Sprechen schwer. So ist sie doppelt beraubt, ihrer körperlichen Vitalität und ihrer machtvollen Zunge, und wenn sie nicht erschöpft ist, ist sie verwirrt und manchmal auch wütend.
Deine Familie versichert beharrlich, dass alles gut wird, mit oder ohne Strahlentherapie. Du stimmst dem vorgeblich zu, beschließt aber auch, deinen Wohnheimleiter auf Geldmittel anzusprechen. Er ist gerade zurückgekehrt, sein Aufenthalt, wenn er weg ist, bleibt geheim, und du triffst ihn auf seinem Zimmer an, wo er in löcherigen Socken auf der schweißfleckigen Matratze seines Bettes liegt.
»Ich brauche Geld«, sagst du.
»Eine komische Begrüßung, kleiner Bruder.«
»Entschuldige. Meine Mutter ist krank.«
»Wie viel brauchst du?«
Du nennst den Betrag.
»Aha.« Langsam streicht er sich über den Kiefer.
»Ich weiß, es ist viel …«
»Es ist viel. Aber ich glaube, wir können dir helfen.«
»Danke.«
»Du solltest sie in eine unserer Kliniken bringen.«
»Unsere Kliniken?«
»Ja.« Er beobachtet dich. Er zeigt ein Lächeln, das wohlwollend sein soll, doch sein Gesicht bleibt teilnahmslos. So hast du ihn lächeln sehen, nachdem er einem die Nase gebrochen hat.
»Sie wird schon in einer
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