So wirst du stinkreich im boomenden Asien: Roman (German Edition)
engagieren, immer und immer wieder, denn wo solle das noch enden, sie sei ja nicht aus Geld gemacht, und letztlich seien gewisse Dinge, wie sie selbst allzu gut wisse, eben Schicksal, und wir könnten uns wohl abmühen, aber Schicksal sei eben Schicksal, daher sei es das Beste für ihn und seine Familie, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, denn letztlich liege es doch in ihrer eigenen Verantwortung, und zu akzeptieren, dass man ihr schon mehr geholfen habe, als man vernünftigerweise habe erwarten können.
Im Lauf der folgenden Monate wird das Leiden deiner Mutter extrem, ihr Krebs hat schon in Knochen und Lungen metastasiert. Begleitet wird dies von einer Veränderung ihrer Erscheinung und ihres Wesens. Sie wird von Furcht gepackt, überrascht davon, wie hartnäckig sie am Leben festhält und wie wenig ihre Fantasie es vermag, sich ein stolzes Ende vorzustellen. Ihrem Tod gehen mangels moderner Palliativbehandlung Qualen voraus, in den letzten vierzehn Tagen nur teilweise von Straßenheroin gelindert, das dein Bruder besorgt hat und das dein Vater ihr durch schmale, langfiltrige Damenzigaretten verabreicht, aus denen deine Mutter in winzigen Zügen keuchend zu inhalieren sucht.
Deine Schwester kommt aus dem Dorf, um ihr Trost zu spenden. Keine der beiden Frauen hat deine Schwester bis dahin als Liebling deiner Mutter angesehen, diese Ehre hat dir gebührt, doch es ist deine Schwester, der deine Mutter sich in dieser Zeit am natürlichsten zuwendet, vielleicht, weil sie die älteste ist, vielleicht, weil sie beide Frauen sind, vielleicht auch, weil deine Schwester das einzige ihrer Kinder ist, das selbst Mutter ist, und in deiner Schwester erkennt deine Mutter Echos ihrer eigenen Mutter, die sie zuletzt sah, als sie so alt war wie deine Schwester jetzt und deine Mutter ein kleines Mädchen war. In dem Moment, als ihr Leben endet, hält deine Schwester ihr die Hand, und deine Mutter ist wie ein Neugeborenes, das bei seinem Übergang vom Leben im Wasser zu dem an der Luft um den ersten Atemzug ringt, jedoch umgekehrt, indem sich ihre Lungen mit Wasser füllen und der Atem nicht mehr kommt.
Als du und die Männer deiner Familie ihren in weißes Tuch gehüllten Körper auf den Schultern zu der offenen, staubigen Grube, die ihr Grab ist, tragt, fällt dir auf, wie leicht sie ist. Das Tempo ihres Übergangs von handfester Robustheit zu ephemerer Zerbrechlichkeit war so seltsam, fast unwirklich. Rosenblätter werden geworfen, Räucherstäbchen entzündet, Beschwörungen des Göttlichen vorgetragen, dann kehren diejenigen von euch, die noch leben, zu ihrem Leben zurück.
An der Universität drängen Mitglieder deiner Organisation dich, nicht zu sehr oder länger als die vorgeschriebene Frist zu trauern. Sonst würdest du missachten, was der Glaube verfügt hat, sagen sie. Stattdessen sollst du deine Energie für die Aufgaben einsetzen, die dir zugewiesen worden sind, deine Kameraden als deine wahre Familie anerkennen und durch die Organisation handeln, um deine Bestimmung zu erfüllen, so wie deine Mutter die ihre erfüllt hat. Doch diese Ratschläge erscheinen dir schablonenhaft und wenig zwingend, außerdem ist dein Appetit auf die Nahrung, Kleidung und Zugehörigkeit, die die Organisation anbietet, und auf den Schutz, den sie zu gewähren behauptet, in deinem gegenwärtigen introspektiven und melancholischen Zustand deutlich reduziert.
Dein Leiter hat zunehmend ein Auge auf dich und fordert diejenigen unter deinen Kameraden auf, denen er am meisten traut, dies ebenfalls zu tun. Deine Apathie bereitet ihm Sorgen, auch der Anflug von Zynismus, den du in Gespräche und Sitzungen einfließen lässt. Du achtest darauf, ihn nicht wissentlich zu provozieren, doch er bemerkt den negativen Einfluss, den du ausübst, wenn du ihn außer Hörweite wähnst. Es dauert nicht lange, dann hat er genügend Indizien gesammelt, um dir einen strengen und angesichts seiner Impulsivität womöglich schmerzhaften Verweis zu erteilen, doch als er seinen Stellvertreter ausschickt, dich zu ihm zu bringen, bist du nirgends auffindbar.
Deinen Vater hat der Tod deiner Mutter schwer getroffen, dennoch hat er sich geweigert, deine Tochter ins Dorf zu begleiten oder eine Weile bei deinem Bruder zu wohnen. Vielmehr arbeitet er weiter, fährt morgens zum Anwesen der Matriarchin und kehrt nachts zurück. Du hast, als du bei ihm einziehst, nicht die Absicht, auf Dauer zu bleiben, doch in den Tagen dort zeigst du kein Interesse, dein Studium
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