So wirst du stinkreich im boomenden Asien: Roman (German Edition)
findet ohnehin, dass eine Anstellung der natürliche Status eines Mannes ist. Er würde mehr arbeiten, wenn er könnte, aber er kann es nicht.
Dein Vater hat ein gebrochenes Herz, buchstäblich wie bildlich. Er vermisst deine Mutter ungeheuer, sehnt sich nach ihr noch mehr, seit sie gestorben ist, als je zu ihren Lebzeiten. Auch haben sich seine Gene und die cholesterinhaltige Küche, die er jahrzehntelang in reichen Häusern zubereitet und gegessen hat, dazu verschworen, ihm wiederkehrende Anginaanfälle zu bescheren. Die Beschädigung seines Muskelgewebes ist nun unwiderruflich, und auch wenn die Zeiten mit akuten Schmerzen kurz und selten sind, entrinnt er doch nicht mehr dem Druck auf der Brust und seiner Kurzatmigkeit.
Sein Glaube ist stark und idiosynkratisch, er manifestiert sich in Gebeten, Besuchen von Schreinen, religiöser Musik und heiligen Versen, die er, auf Papier geschrieben, als Amulette bei sich trägt. Das alles gibt ihm Trost. Er fürchtet den Tod, aber nicht allzu sehr, und er wartet auf die Möglichkeit, mit seiner Liebe wieder vereint zu sein, so wie manches junge Mädchen mit einer Beklommenheit, die seine Sehnsucht nicht ganz übersteigt, auf den Verlust seiner Jungfräulichkeit.
Du triffst ihn auf seinem Feldbett an, wo er einer blechernen, aber trotzdem gefühlvollen Stimme aus einem batteriebetriebenen Radio zuhört, weil der Strom ausgefallen ist und damit auch der Saft für euren Fernseher. Trotz der Hitze hat er ein Tuch um sich geschlungen, und er schwitzt leicht auf der Stirn. Du bringst ihm einen Becher Wasser und setzt dich zu ihm, und er tätschelt dir die Hand, die schwielige Haut ist ledrig und fast weich. Er flüstert eine Segnung, haucht sie in die Luft, verbreitet mit einer Kontraktion der Lungen seine Hoffnungen für dich.
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ARBEITE FÜR DICH SELBST
Wie jedes Buch ist auch dieses Selbsthilfebuch ein kokreatives Projekt. Siehst du dir eine Fernsehsendung oder einen Film an, dann sieht das, was du siehst, wie das aus, was es physisch darstellt. Ein Mann sieht aus wie ein Mann, und ein Mann mit einem großen Bizeps sieht aus wie ein Mann mit einem großen Bizeps, und ein Mann mit einem großen Bizeps mit dem Tattoo »Mama« darauf sieht aus wie ein Mann mit einem großen Bizeps mit dem Tattoo »Mama« darauf.
Liest du dagegen ein Buch, dann siehst du schwarze Kringel auf zerstampftem Holz oder, zunehmend, dunkle Pixel auf einem blassen Bildschirm. Um diese Zeichen in Figuren und Ereignisse umzuwandeln, brauchst du Fantasie. Und wenn du deine Fantasie gebrauchst, kreierst du etwas. Erst mit dem Lesen wird ein Buch zu einem Buch, und bei jedem von Millionen unterschiedlicher Lesevorgänge wird ein Buch zu einem von Millionen unterschiedlicher Lesevorgänge, so wie nur ein Ei zu einem von potenziell einer Million unterschiedlicher Menschen wird, wenn sich ihm ein wacker schwimmender, munterer Spermienschwarm nähert.
Der Leser arbeitet nicht für den Autor. Er arbeitet für sich selbst. Darin liegt, wenn du den zugegeben voreingenommenen Ton entschuldigen magst, der Reichtum des Lesens. Und darin liegt auch ein Fingerzeig auf Reichtum anderswo. Denn wenn du wirklich stinkreich im boomenden Asien werden willst, was wir inzwischen wohl festgestellt haben, dann musst du früher oder später für dich selbst arbeiten. Die Früchte der Arbeit sind köstlich, aber einzeln machen sie nicht besonders dick. Also teil deine nicht und beiß in die der anderen, sooft du kannst.
In deinem Fall hast du einen kleinen Betrieb aufgemacht, ein Arbeitspferd K in der stürmischen Herde dessen, was Banker und Politiker KMU nennen. Du leitest ihn in der angemieteten Zweizimmerwohnung, die du einmal mit deinem Vater geteilt hast. Zwei Zimmer empfandest du als wohlverdienten Luxus, als er noch lebte. Jetzt aber empfindest du sie, wären da nicht die Erfordernisse deiner Firma, als Verschwendung und außerdem noch befremdlich, denn auch wenn du ein Mann Mitte dreißig bist, bist du erst jüngst den Formen der Stille begegnet, die in einer Wohnung mit nur einem Bewohner existieren, und emotional schwankst du in dieser neuen Realität wie ein Matrose, der nach Jahrzehnten auf See an Land zurückgekehrt ist.
Es ist kurz vor Tagesanbruch. Du sitzt allein auf der Kante der Pritsche, auf der früher deine Eltern geschlafen haben, reibst dir die Träume aus dem Schädel und hörst dabei einem sexbesessenen Hahn zu, der in seinem Dachkäfig irgendwo im Viertel kräht. Du frühstückst an einem Kiosk, der
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