So wirst du stinkreich im boomenden Asien: Roman (German Edition)
durchaus bewusst und auch die Fragen, die in den Köpfen ihrer Kolleginnen und Kunden vielleicht schon Gestalt annehmen.
»Komm«, sagt sie, »stell das weg und folge mir.«
Sie führt dich zu dem anderen Pavillon, vorbei an dem inzwischen verlassenen Laufsteg, zum Hintereingang hinaus, und schüttelt den Kopf vor einem Securitymann, der euch den Weg verstellt. Sie winkt einem Grüppchen Leute aus der Modewelt zu, aber sonst seid ihr beide unter dem sternlosen Nachthimmel allein. Sie zündet sich eine Zigarette an und mustert dich.
»Du bist erwachsen geworden«, sagt sie.
»Du auch.«
»Siehst du dir immer noch Filme an?«
»Nicht besonders viele. Manchmal.«
»Ich bin süchtig danach. Ich schlafe jeden Abend vor dem DVD-Player ein.«
»Jeden Abend?«
Sie hebt eine Augenbraue und lächelt unergründlich. »Nicht jeden Abend. Aber oft. Wenn ich allein bin.«
»Ich wohne mit meinem Vater zusammen. Also, er bei mir. Aber ich habe jetzt meine eigene Wohnung.«
»Hast du geheiratet?«
»Nein. Du?«
Sie lacht. »Nein. Ich bin mir nicht sicher, ob ich der Typ bin, den die Männer heiraten.«
»Ich würde dich heiraten.«
»Du bist wunderbar. Vielleicht habe ich ja gemeint, dass ich nicht der Typ bin, den die Männer heiraten sollten.«
»Warum nicht?«
»Ich verändere mich.«
»Jeder verändert sich.«
»Wenn ich mich verändere, lasse ich es zu.«
»Ich weiß. Du wolltest aus dem Viertel weg, und jetzt hast du es getan. Du bist berühmt.«
»Und du?«
»Ich will reich sein.«
Wieder lacht sie. »So einfach ist das?«
»Ja.«
»Dann sag mal Bescheid, wenn du’s bist.«
»Mach ich. Aber ich habe deine Nummer nicht mehr.«
Sie gibt dir ihr Handy, und du wählst dich selbst an, lässt es zweimal klingeln und speicherst die Nummer unter ihrem Namen ab.
»Ich sollte wieder rein«, sagt sie.
»Ich ruf dich an.«
»Ich weiß. Pass auf dich auf.«
Wieder küsst sie dich auf die Wange und legt dir dabei eine Hand aufs Kreuz. Du spürst ihren Busen, wie er über deine Brust streicht, dann ist sie weg.
Als das hübsche Mädchen in ihre Welt zurückkehrt, merkt sie, dass ihre Selbstsicherheit durch die Begegnung mit dir irgendwie angeknackst ist. Du bist wie eine lebende Erinnerung, und sie, gegen Erinnerungen gnadenlos resistent, ist wegen dir durcheinander. Deine Sprechweise enthält, auch wenn sie sich in dem Jahrzehnt seit eurem letzten Gespräch weiterentwickelt hat, noch immer den Tonfall, in dem auch sie einmal gesprochen hat, mehr noch als den Tonfall die Perspektiven, die Ansichten des Viertels, dem sie einmal angehört hat, eines Viertels, dem entflohen zu sein sie froh ist und in das sie nicht zurück will, nicht einmal für einen Augenblick, nicht einmal flüchtig. Sie versucht, sich auf ihren Begleiter zu konzentrieren, den Textilsprössling, aber zunächst ist sie verwirrt, nicht ganz da, und das bestürzt sie so sehr, dass sie einen bewussten und letztlich erfolgreichen Versuch unternimmt, klaren Kopf zu bekommen.
Du rufst sie noch in der Nacht an, doch sie antwortet nicht. Du versuchst es erneut am nächsten Tag, mit demselben Ergebnis. Ein paar Tage später erwischst du sie endlich, aber sie ist zerstreut, bereitet sich auf ein Fotoshooting vor. Hin und wieder, wenn du sie danach erreichst, kommt es zu einem kurzen Gespräch, aber wenn du ein Treffen vorschlägst, hat sie nie Zeit. Das verwirrt dich, und du überlegst, wie du am besten vorgehen sollst. Mit Frauen kennst du dich nicht besonders aus, aber vom Verkaufen verstehst du einiges, und es wird dir klar, dass hier ein Fall vorliegt, in dem du die Kundin kommen lassen musst, wenn du dein Produkt nicht völlig entwerten willst. Daher wartest du. Und tatsächlich, sie ruft an. Nicht oft. Nicht mal jeden Monat. Manchmal aber, meistens spätabends, nachdem sie sich einen Film angesehen hat und ihre Stimme vom nahen Schlaf und vielleicht auch vom Alkohol träge ist, spricht sie ein paar wunderbare Minuten lang sanft aus der Behaglichkeit ihres Bettes. Sie bittet dich nicht zu sich oder schlägt ein Treffen anderswo vor, doch sie hält Kontakt mit dir und deinem Leben, was zuweilen schmerzhaft ist, dir aber eine gewisse Hoffnung schenkt.
Bei der Arbeit stürzt du dich in das Gedrängel um die Kunden deines ehemaligen Kollegen. Ein potenzieller weist deine Avancen zurück, doch du hast das Prinzip der Beharrlichkeit internalisiert, und so suchst du ihn in der nächsten Saison auf. Der Mann hat ein Geschäft in einem ehemals
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