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So zärtlich war das Ruhrgebiet

So zärtlich war das Ruhrgebiet

Titel: So zärtlich war das Ruhrgebiet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laabs Kowalski
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mit seinem Körper knapp über dem Wasser, die
Hände am Ufer, die Füße noch im Boot. Onkel Manfred trat näher und Papa aus
Spaß auf die Hand.
             Dieses Mal hatte sich Papa gerächt. Fast eine
Woche lang hatte es fast nur geregnet. Als wir auf dem Weg zur Minigolfbahn an
einem ausgeschachteten, ziemlich tiefen Loch vorüberkamen, sagte Papa zu Onkel Manfred:
„’n Heiermann, wenn du’s schaffst, auf den Kanaldeckel zu springen!“
             Mitten im Loch stand eine Säule aus Beton, die
oben von einem Kanaldeckel abgeschlossen wurde. Bis zum Rand, wo wir standen,
waren es gut und gerne drei Meter.
             Onkel Manfred nahm Anlauf, sprang und landete
schwankend auf der Säule. Anerkennend schnippte ihm Papa das Fünf-Mark-Stück
zu. Onkel Manfred in seinem hellblauen, neuen Anzug fing es auf.
             „Und jetzt spring wieder zurück“, sagte Papa,
und Onkel Manfred ging ein Licht auf. Drei Meter trennten ihn vom Rand, nur
dass er diesmal keinen Anlauf nehmen konnte. Er zögerte, und Papa, Onkel
Catcher und Onkel Heinzi rissen dumme Witze.
             Dann sprang Onkel Manfred und landete unten auf
dem Grund des Lochs, wobei er bis zu den Knien im aufgeweichten Boden versank.
Er fluchte und hatte dicke geschwollene Adern auf der Stirn. Ohne Hilfe kam er
nicht mehr heraus.
             Als wir vom Minigolfspielen zurückkamen, fluchte
und schimpfte Onkel Manfred noch immer dort unten. Etliche Spaziergänger hatten
sich rund um das Loch versammelt und schauten zu, wie Onkel Manfred immer
tiefer einsank.
             Ein Mann schlug vor, man sollte die Feuerwehr
holen. Aber er war kaum zu hören, so laut schrie und fluchte Onkel Manfred in
seinem Loch. Das würde er Papa niemals verzeihen und Papa könnte ihn mal
kreuzweise. Er sagte auch noch Schlimmeres.
             „Ist ja gut, ist ja gut“, sagte Papa. „Wir gehen
rüber in die Schmiedingslust und rufen die Feuerwehr an.“
             Im Ausflugslokal Schmiedingslust waren draußen Tische
aufgestellt. Wir setzten uns, und Papa fragte die Bedienung, ob er mal das
Telefon benutzen dürfte. Dummerweise war es kaputt. Während Onkel Heinzi Karten
austeilte und die Kellnerin die bestellten Getränke zu uns brachte, überlegte
man, ob man Onkel Manfred mit Hilfe eines Bretts heraufholen könnte. Aber woher
ein Brett nehmen? Und dann legte Onkel Catcher einen Royal Flush auf den Tisch,
und Onkel Manfred war plötzlich vergessen.
             Bis die Bedienung kam und sagte, das Lokal werde
jetzt geschlossen, ob sie abhalten dürfe.
    Die Schaulustigen waren nach
Hause gegangen, und es war auch kein Schimpfen und Fluchen mehr zu hören. Unten
auf dem Boden des Lochs steckte Onkel Manfred bis zur Hüfte im Lehm und
reagierte nicht mehr auf die Witze seiner Brüder. Papa ging zu seinem Auto und
kehrte kurz darauf mit einem Abschleppseil zurück. Es wurde hinuntergelassen,
und Onkel Manfred zog sich hinauf. Als er oben war, fehlten seine Schuhe. Die
hatte der aufgeweichte Boden geschluckt. Schweigend und lehmbeschmiert ging er
voraus. Erst, als die anderen gar nicht mehr aufhörten mit ihren Kommentaren
und Witzen, wurde er wütend. Zu Hause bekam Papa von Mama eine Standpauke
gehalten. Wieder mal hatte sie völlig umsonst mit dem Essen auf ihn gewartet.
Dass Papa ein blaues Auge hatte, interessierte sie nicht.
             „Jeden Sonntag dasselbe mit dir! Wirst du
eigentlich nie erwachsen, Hans-Jürgen?“
     
    1972 – Das sind alles arme
Schweine
     
    In der Schule erklärte Herr Grepel, was eine
Umgehungsstraße ist. Aber ich konnte nicht richtig zuhören, denn ich musste
ganz dringend. Gerne hätte ich aufgezeigt und gefragt, ob ich zur Toilette
kann, doch vor mir waren bereits Ingo Boskowiak, Beatrice Artmann, Gaby Denker
und Frank Seifert zur Toilette gewesen, und als Anke Marquardt ebenfalls fragte,
ob sie mal rausdürfe, hatte Herr Grepel geschimpft und gesagt, sie wäre jetzt
aber die Letzte. Ob wir denn Kleinkinder seien? Um auf die Toilette zu gehen,
seien ja wohl die Pausen da. Dann machte er mit der Umgehungsstraße weiter.
             Ich presste die Beine zusammen und sah auf die
Uhr, die über der Tür an der Wand hing. Bis zur Pause waren es noch fünfzehn
Minuten!
             Frank Sudermann, der schräg hinter mir saß,
meldete sich und sagte: „Der Thomas pinkelt in die Hose!“
             Alle schauten mich an, ich wurde rot. Das Pipi
lief

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