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So zärtlich war das Ruhrgebiet

So zärtlich war das Ruhrgebiet

Titel: So zärtlich war das Ruhrgebiet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laabs Kowalski
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meine nackten Beine hinunter, und es hörte nicht auf. Auch nicht, als Herr
Grepel schon neben mir stand. Unter meinem Platz bildete sich eine große, gelbe
Pfütze. Die Hochzeit mit Barbara Miek konnte ich damit vergessen. Wer heiratete
schon einen Jungen, der in der Klasse in die Hose machte? Am liebsten wäre ich
ohnmächtig geworden wie die Frauen in den Fernsehfilmen, aber es klappte nicht.
Ich war immer noch wach. Wie aus weiter Ferne hörte ich Herrn Grepel sagen:
„Aber warum hast du denn nichts gesagt? Ich hätte dich doch gehen lassen, wenn
es so dringend gewesen ist.“
             Er hatte gut reden. Vorhin hatte er noch gesagt,
Anke Marquardt sei die Letzte gewesen.
             Endlich hörte es auf. Herr Grepel brachte mich
zum Hausmeister und fragte Herrn Rettig, ob er mir eine Unterhose leihen könne,
mir sei ein Malheur passiert.
             Herr Rettig, der sehr dick war und immer nur
schimpfte, wenn wir auf dem Pausenhof spielten, starrte mich an. Dann blickte
er an meinen Beinen und auf meine Füße hinunter.
             „So ein großer Bengel und macht noch in die
Hose“, brummte er.
             Er verschwand in seiner Hausmeisterwohnung und
kehrte mit einer riesigen, weißen Männerunterhose zurück. Herr Grepel führte
mich zur Lehrertoilette und sagte, ich solle sie anziehen.
             Auf der Lehrertoilette zog ich meine nassen
Hosen aus. Aber wohin mit der tropfenden Unterhose in meiner Hand? Ich stopfte
sie ins Klo und zog die Spülung, Aber das machte alles nur schlimmer, weil nun
das Klo überlief. Pipi und Kacka schwappten über den Rand. Die eklige Hausmeisterunterhose,
die ich nicht anziehen wollte, warf ich auf den Boden. Ich zog meine nasse
kurze Hose an. Um nichts in der Welt wollte ich in die Klasse zurück. Ich
wollte überhaupt nie wieder zur Schule. Stattdessen würde ich weglaufen und
Krokodiljäger werden. Dann fiel mir ein, dass ich dazu eigentlich auch keine
Lust hatte. Heulend lief ich nach Hause. Meine Sandalen machten beim Laufen ein
quartschendes Geräusch.
             Als Mama mich fragte, warum ich geweint hätte,
beichtete ich. Mama war wütend auf Herrn Grepel, weil er mich nicht sofort nach
Hause geschickt hatte. Sie fuhr mit dem Fahrrad zur Schule und holte meine
Sachen.
    Wenn ich nach der Schule nicht zu Michael Hartwig oder
Peter Hartung ging, lief ich in den Wald. Direkt am Eingang gab es einen knorke
Kletterbaum. Wenn man oben war, durfte man auf keinen Fall hinunterfallen, weil
unten der Stacheldrahtzaun einer angrenzenden Kuhweide verlief. Dann wäre man
schwerverletzt. Oder tot.
    Im Wald gab es auch einen Bach,
den man an vielen Stellen aufstauen konnte. Einmal im Winter, als ich mit
meinem Bruder Martin im Wald war, fiel er der Länge nach hinein. Als wir
Stunden später nach Hause kamen, schimpfte Mama mit mir, weil Martins Kniebund-lederhose
und auch seine restlichen Anziehsachen ganz steifgefroren waren.  
             Und es gab einen verlassenen Bunker, in dessen
Eingang es nach Pisse roch. Es hieß, viele Kinder seien in diesem Bunker schon
für immer verschwunden. Man hatte nie wieder von ihnen gehört.
     
    Wenn man in der Wohnung von Onkel Manfred und Tante Christa
aus dem Kinderzimmerfenster guckte, konnten mein drei Jahre jüngerer Cousin
Andreas und ich im Hof des Nachbarhauses manchmal Ausländerkinder spielen
sehen. Mama hatte mir erzählt, das wären alles arme Schweine. Nicht mal
richtiges Spielzeug hätten sie. Ich erklärte Andreas, dass das ungerecht wäre.
             Wir öffneten das Fenster und warfen etwas von
Andreas’ Spielzeug rüber in den Hof: Matchbox-Autos, eine Big-Jim-Puppe, seinen
neuen Fußball. Die armen Ausländerkinder freuten sich. Also machten wir weiter.
Andreas’ Legokiste war so schwer, dass wir sie zu zweit zum Fenster tragen
mussten. Aber wir holten nicht genug Schwung, und die Kiste landete vor der
Mauer zum Hof mit den Kindern. Ich wollte noch mehr hinüberwerfen, aber Andreas
jammerte, er wolle seinen Fußball zurück. Heulend lief er zu seinem Vater.
             Als Onkel Manfred erfuhr, was wir getan hatten,
fragte er, ob wir nicht mehr alle Datteln an der Palme hätten. Am nächsten Tag
kam Papa bei uns zu Hause in das Kinderzimmer, schimpfte mit mir und sagte,
dass ich Andreas nun von meinem Spielzeug abgeben müsse. So ein Betrug!
     
    Manchmal ging Papa sonntags mit uns allen spazieren. Erst
hinüber zum Wald, dann quer hindurch, bis man

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