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So zärtlich war das Ruhrgebiet

So zärtlich war das Ruhrgebiet

Titel: So zärtlich war das Ruhrgebiet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laabs Kowalski
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spielen, reckten sich, stiegen in ihre Laster und fuhren
davon.
    Wir brachten die letzten
Plastiktüten in die neue Wohnung und machten uns zu Fuß auf den Weg zur
Unfallklinik, um nach Onkel Catcher zu sehen. Eine Roth Händle ohne Filter im
Mund, stand er am Bett und würgte gerade einen Mitpatienten, der Nichtraucher
war.
             „Hömma“, sagte Onkel Manfred zu ihm, „das ist ja
voll die kleine Hütte, die du jetzt hast.“
             „Is’ ja auch nur übergangsweise“, sagte Onkel
Catcher. „Der Olle vom Büdchen hat mir erzählt, demnächst wird in der
Lützowstraße was frei. Habbich schon alles klar gemacht. Am nächsten Ersten
zieh ich da ein!“
             „Ehrlich, Catcher, du hast den Arsch auf!“,
sagte Onkel Manfred, aber Onkel Catcher blies den Rauch aus und erklärte: „Tja,
wat willße machen? Man muss immer in Bewegung bleiben, sonst wird man nämich
träge, woll?“
             Onkel Catcher packte seine Sachen zusammen. Als
er seine Zigaretten in die Jackentasche stecken wollte, schreckte er zusammen.
             „Scheiße!“
             „Was’n los?“, wollte Papa wissen.
             Onkel Catcher zog die Hand aus der Tasche und
öffnete sie. Auf seiner Handfläche lag Fipsi, sein blauer Wellensittich, und
schlief.
             „Ich hab’n doch nur mal ganz kurz in die Tasche
gesteckt, um beim Fernsehertragen die Hände frei zu haben“, rief Onkel Catcher
unter Tränen. Wenn Kindern oder Tieren ein Leid zugefügt wurde – so was machte
ihn fertig.
             „Fipsi, mein Junge, das habbich nicht gewollt –
ehrlich!“, schluchzte er. „Hömma, ich wollt’ dich doch nur ganz kurz aussem Weg
ham, um beim Fernsehertragen zu helfen! Ich wollt dich nich da drin vergessen,
glaubße mir das?“
             Er war so erschüttert, dass er sogar die Frage
überhörte, ob ich die frische Narbe auf seinem Kopf anfassen dürfte.
             „Na, komm, wird schon wieder!“, versuchte ihn
Onkel Manfred zu trösten. „War schließlich nur’n Vogel.“
             „Nur’n Vogel? War nur’n Vogel?“, brauste Onkel
Catcher auf, und Papa hatte Mühe, die beiden zu trennen. Der Mitpatient
klingelte eilig nach der Schwester. Als sie reinkam, war der Kampf bereits in vollem
Gange. Ich durfte nicht dabeisein, wie man Onkel Manfreds Schädelplatzwunde
vernähte, aber in der Notaufnahme zeigte mir Papa einen Mann, der war mit
seinen Beinen unter einen Laster geraten.
     
    1971 – Straßburg lag im
Sonnenschein
     
    Meine neuen Freunde in Brechten waren Michael Hartwig und
Peter Hartung. Peter wohnte in der Bunkensiedlung. Es war gefährlich, ihn zu
besuchen. Manchmal wurde man von den Bunken grundlos verkloppt oder mit Steinen
beworfen. Der schlimmste von ihnen hieß Totto und war gerade mal zehn. Meist
lungerte er an der Straßenbahnhaltestelle Scharfes Eck herum, rauchte
Zigaretten und knöpfte anderen Kindern ihr Taschengeld ab. Der zweitschlimmste
der Bunken hieß Affe und war Tottos älterer Bruder.
     
    Peter Hartung hatte ein Kinderzimmer ganz für sich allein
und jede Menge Quartetts: Autos, Rennwagen, Schiffe, Panzer, Oldtimer,
Spaßautos und sogar ein Raketenquartett. Er brachte mir bei, dass
Quartettkarten mit der dänischen, schwedischen oder finnischen Flagge darauf
Fahnentrumpf hießen. Da brauchte man nicht die PS-Zahl oder die
Höchstgeschwindigkeit sagen, sondern musste nur „Fahnentrumpf!“ rufen, um die
Spielkarte des anderen zu kriegen.
             Peter zeigte mir auch eine Zeitschrift namens
„Bravo“ und schenkte mir zwei Poster daraus: das eine mit Rex Gildo drauf, das
andere mit vier Musikern, die sich die Beatles nannten, aber die kannte ich
nicht, was aber nicht schlimm war, weil sich ihre Gruppe aufgelöst hatte, wie
mir Mama erklärte.
             Peter besaß auch einen Kassettenrekorder und
eine Kassette mit dem Lied Popcorn darauf. Das wurde von einem Computer
gespielt.
             Einmal, als Peter bei uns zu Hause war, stellte
uns Mama eine Flasche Aquella-Sprudel hin. Peter trank sie ganz aus, und Mama
sagte, er trinke nur zum Spaß und nicht, weil er Durst habe, und konnte Peter
nicht leiden.
     
    Im Straßengraben fanden wir ein Heft, in dem waren lauter
nackte Frauen abgebildet. Die sahen aber alle eklig aus. Von zu Hause hatte ich
eine Schachtel Streichhölzer aus der Küchenschublade gestohlen, und wir
verbrannten das Heft. Auch Erwachsene

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