So zärtlich war das Ruhrgebiet
geschlagen.
„Ehrlich, Catcher! Ich hatte das Blatt meines
Lebens!“, rief Papa noch immer, als man seine Platzwunde in der Unfallklinik
versorgte. „Der Pott hätte mir gehört, ich hoffe, ihr wisst das! Fragt den
einen Feuerwehrmann, der kann es bezeugen!“
Den Rest des Tages verbrachte Papa damit, Mannas
Uhr zusammenzubauen. Aber obwohl er ein begabter Mechaniker war, ging sie seit
diesem Tag immer eine Viertelstunde vor, und zwar so genau – man konnte die Uhr
danach stellen.
Im Sommer kam die Olympiade, aber die interessierte mich
nicht, ausgenommen der Schwimmer Mark Spitz, der ganz allein sieben
Goldmedaillen gewann. Im Fernsehen sang eine Gruppe Soley, Soley . Das
Lied war noch besser als Straßburg lag im Sonnenschein .
Papa kaufte sich ein neues Auto, einen feuerroten Ford
Taunus. Mit dem fuhr er zum „Nordlicht“ und zeigte ihn allen. Er arbeitete
jetzt als Minicar-Fahrer. Minicar, das war so etwas Ähnliches wie Taxi. Leute
riefen in der Funkzentrale an und bestellten ein Auto. Papa kam dann zu ihnen
und holte sie ab. Nur auf die Taxihalteplätze durfte er sich mit seinem Auto
nicht stellen, denn es hatte kein Taxischild oben auf dem Dach.
Zu Weihnachten bekam ich eine Matchbox -Bahn,
Winnetou I, Brehms Tierleben und eine Hose, die kratzte. Die neuen Matchbox -Autos
hatten schnellere Räder und sahen wie Phantasieautos aus. Am besten gefiel mir
der rote Dragster-VW, der Volks-Dragon hieß. Wenn ich Autorennen spielte, ließ
ich ihn immer gewinnen. Siku -Autos rollten nicht so gut und waren doof.
1973 – They have two children
Mama war wieder schwanger. Im Februar sollte ein zweites
Brüderchen kommen. Es wurde beschlossen, dass es Frank heißen sollte. Aber als
Frank auf die Welt gekommen war, kehrte Papa vom Standesamt zurück und hatte
ihn Manfred genannt, nach seinem Bruder. Mama sprach mit Papa eine Woche lang
kein Wort.
In der Schule sagte Herr Grepel, ich dürfte nach den
Sommerferien auf die Realschule gehen. Bevor es soweit war, fuhr Papa mich zu
Tante Dora und Onkel Johnny nach Lunden in Holstein. Tante Dora war die
Schwester von Omma Zarth und Papas Tante. Sie und Onkel Johnny hatten drei
Kinder: Angela, Jörg und Jens, der zwei Jahre älter war als ich. Außerdem lebte
noch meine Uroma dort, die einen großen, gelben Hund besaß, der Breughel hieß.
Hinter dem Haus gab es einen Schweinestall und hinter dem Schweinestall einen
Garten mit Erdbeeren, Mohrrüben, Kartoffeln, Bohnen und Stachelbeersträuchern.
Onkel Johnny war Maurer und immer sehr streng. Papa war in Lunden aufgewachsen.
Geboren worden aber war er in Pommern. Das lag jetzt in Polen, hatte mir Mama
erzählt.
Im Zimmer von Jörg und Jens las ich mein erstes Asterix -Heft
– Asterix und Cleopatra . Im Kaufmannsladen konnte man Tüten kaufen, in
denen Kaugummis und kleine Figuren aus dem Asterix -Heft waren. Jens
besaß noch viele andere Comichefte, die ich nicht kannte, zum Beispiel Popeye oder Jumbo & Dixi . Es war ganz schön anstrengend, die alle zu lesen.
Viel lieber wäre ich rausgegangen, um bei dem schönen Wetter zu spielen, aber
dazu war wegen der ganzen Hefte keine Zeit. Anschließend waren meine Augen ganz
müde, und Onkel Johnny schimpfte mit mir.
Als ich im Stall einem Schwein den Zeigefinger
in den Rüssel steckte, biss es mich. Das war gemeingefährlich, das Vieh.
Wenn ich groß wäre, würde ich Angela heiraten. Die
sah schon wie eine richtige Dame aus und arbeitete bei einem Friseur. Manchmal
durfte ich in ihr Zimmer, in dem sich eine Schminkkommode mit drei Spiegeln
befand. Wenn man die äußeren Spiegel verstellte, konnte man seinen eigenen
Hinterkopf sehen. Auf der Kommode standen jede Menge kleiner, seltsamer
Flaschen. Mama hatte nur ein Fläschchen Tosca, aber das benutzte sie nie. Das
musste sie auch nicht. Sie war auch ohne Parfüm und Schminke schön. Wenn sie
zum Einkaufen ging, hupten immer die vorbeifahrenden Autos, und Mama rief dann:
„Idiot!“
Jörg war Tambourmajor in einem Spielmannszug und
Jens Trommler. Wenn ich ihn darum bat, trommelte er mir in seinem Zimmer was
vor. Einmal nahm er mich zum Angeln mit. Wir fingen aber nur Krebse und einen
klitzekleinen Aal.
In Lunden gab es keine Büdchen, nur ein
Geschäft, da konnte man ein Eis kaufen, das Surprise hieß. Surprise hieß Überraschung, hatte Jens mir erklärt. Innen im Eis war eine
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