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So zärtlich war das Ruhrgebiet

So zärtlich war das Ruhrgebiet

Titel: So zärtlich war das Ruhrgebiet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laabs Kowalski
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             Sein zukünftiger Schwager zeigte auf die einsam
auf der Weide stehende Kuh, die er mit einer Taschenlampe anleuchtete, und
drückte Onkel Heinzi einen Vorschlaghammer in die Hand. Diesmal, so erfuhr
Onkel Heinzi, nahm man ihn nicht auf den Arm.
    An die Hochzeit von Onkel Heinzi
und Tante Kristina selbst kann ich mich nur mäßig erinnern. Schuld war mein
erster Rausch, den ich an diesem Tag hatte. Im Gedächtnis geblieben ist mir
lediglich der deutschstämmige Pfarrer, der sich ununterbrochen und sehr
ungeniert im Schritt kratzte, weil Läuse ihn plagten, wie er freimütig zugab.
Ernie zufolge hatte der Pfarrer sie sich beim Heuhaufenfest 1957 geholt.
     
    Mein Freund Guido erzählte, dass im Jugendheim in
Dortmund-Eving so etwas wie eine Jugendgruppe existierte, die von dem Verein
der Naturfreunde Deutschlands organisiert wurde. Er wäre vor zwei Wochen schon
einmal mit Michael Schulz dort gewesen, der Verein würde auch Zeltwochenenden
veranstalten, selbst Rauchen sei dort erlaubt. Ich rauchte zwar noch nicht allzu
lange und nur dann, wenn ich mit meinen Onkeln Karten spielte – insgesamt
jedoch klang das, was Guido erzählte, gar nicht so schlecht. Ich beschloss,
Guido und Michael Schulz zu begleiten. Einen Haken allerdings hatte die Sache:
Vor dem Evinger Jugendheim lungerten jede Menge Bunken herum, die es darauf
abgesehen hatten, uns, die wir auf die Realschule gingen, das Leben zur Hölle
zu machen. Gymnasiasten trauten sich gar nicht nach Eving.
             An diesem Tag hatten wir Glück. Die Hauptschüler
nahmen uns lediglich unsere Zigaretten und Jeansjacken weg. Dafür hatte ich
mein zweites musikalisches Erweckungserlebnis. Volker, der Leiter der
Naturfreundejugendgruppe, hatte einen Schallplattenspieler und etliche Singles
mitgebracht, darunter auch eine von Led Zeppelin. Ich hab’ die Single an diesem
Tag nicht gehört, aber allein die Abbildungen der Musiker sagten mir, ich hatte
etwas Großes entdeckt, und zwar nichts Geringeres als den Heiligen Gral. Von
diesem Tag an war ich Led-Zeppelin-Fan.
     
    Im ZDF gab es schon wieder eine neue Zeichentrickserie.
Sie handelte von einer Biene namens Maja, die sich weigerte, wie die anderen Bienen
im Bienenstock zu arbeiten, und lieber mit ihrem debilen Freund Willi durch die
Gegend zog. Mama sagte: „Dass die sich nicht schämen, Kindern so ein schlechtes
Vorbild zu geben.“
     
    Auch im katholischen Gemeindehaus war neuerdings einmal
im Monat was los. Jugenddisco nannte sich die Sache, doch auch hier galt es,
den Bunken, die im Schiffhorst und in den Seitenstraßen rund um den Förderturm
der Brechtener Zeche wohnten, aus dem Weg zu gehen. Nur den Mädchen taten sie
nichts.
             Der Eintritt kostete fünfzig Pfennig, und im
Saal flackerten Lichtorgeln auf. So ähnlich musste es auch im „King George“
sein, der verrufenen Schlägerkneipe am Schwarzen Eck, wo es sogar eine
Prostituierte geben sollte. Als ich mit Guido Niebecker in den Gemeindesaal trat,
spielte der DJ, ein Gymnasiast aus Dortmund-Derne, einen langsamen Song von
Wishful Thinking, und ich sah, dass Hedda Fopel ausgerechnet mit Uwe Schimmelpfennig
tanzte, einem der schlimmsten der Bunken. Während des Tanzes legte er seine
Hände auf ihren Po.
     
    Zu Weihnachten bekam ich endlich meine erste
Wrangler-Jeans sowie das rote und das weiße Album der Beatles. Die Krönung aber
war: Von Tante Christa bekam ich wie gewünscht die Doppel-LP „The Song Remains
The Same“ von Led Zeppelin geschenkt. Die Musik war nervös und unruhig, schrill
und hektisch und kaum zu begreifen. Das Schlagzeug donnerte, der Sänger schrie
und kreischte und schluchzte, die Mehrheit der Lieder hatte keinen Refrain. Ich
verstand diese Art Musik nicht und fand sie wundervoll. Das war nun wirklich
etwas anderes als diese Mitsingliedchen der Bay City Rollers, die Guido
Niebecker hörte. Diese Musik, das spürte ich, hatte etwas mit Sünde zu tun,
definitiv ein Erwachsenending! Ich kam mir großartig vor. Unglaublich, aber
Jimmy Page, der Gitarrist, spielte auf einem der Fotos eine Gitarre mit
doppelten Hals!
             Im Fernsehen lief der Vierteiler „Michael
Strogoff – Der Kurier des Zaren“. Michael Strogoff wurde von Raimund Harmsdorf
gespielt.
     
    1977 – In the clearing stands a
boxer
     
    Im Ersten lief der „Tatort“. Christian Quadflieg, ein
Lehrer, der mit Judy Winter verheiratet war, hatte ein Verhältnis mit seiner
Schülerin Nastassja Kinski. In

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