So zärtlich war das Ruhrgebiet
ging darauf ein. Stattdessen fragte Onkel Catcher, wer eigentlich die
Kleine sei, sie wäre ihm schon gestern aufgefallen.
„Heißt Franziska. Hat Margret auf
der Straße aufgelesen“, gab unser Vater zur Antwort.
„Ach, du armer kleiner Wurm“,
wandte sich Catcher an Franziska. „Hasse dich verlaufen, hä? Hasse Mama und
Papa verloren?“
Der Mitpatient machte sich durch
Husten vernehmbar, um gegen den Zigarettenqualm aufzubegehren, und Onkel Catcher
fuhr ungeduldig herum: „Sag mal, wassen bissen du eigentlich für einen? Willße
hier den Larry machen, oder was? Hasse was an den Augen? Du siehst doch, dass
ich mit der Kleinen spreche.“
Onkel Catcher stand auf, um sich
anzukleiden und seine Habseligkeiten zusammenzupacken. Als er fertig war,
durften mein Bruder und ich die frische Narbe berühren. Der Mitpatient aber
wandte sich an unseren Vater, hob eine Zeitung in die Höhe und sagte: „Die
Kleine da, die wird schon gesucht. Hab’s in der Zeitung gelesen. Und ihr Name
ist nicht Franziska, sondern Monika.“
„Hömma, was bissen du eigentlich
für einen, hä? Willße meinem Bruder erklären, wie seine Kleine da heißt? Mach
mal nicht den Larry hier, hörße? Sonst gibt’s nämlich mal voll was auf die
Zwölf“, warnte ihn Catcher.
Unser Vater studierte die
Suchmeldung und schien wenig begeistert. Auf dem Weg zum Auto sagte er, er sei
nicht scharf darauf, wegen Kindesentführung ins Kittchen zu wandern. Also
fuhren wir vorerst nicht zur Wache, sondern zu Omma Zarth zurück, wo wir auf
unsere Mutter trafen, die sich bereits Sorgen gemacht hatte und Franziska
glücklich in die Arme schloss. Sie zeigte der Kleinen das Meerschwein, welches
die Wirtin aus dem „Nordlicht“ gerade abgegeben hatte, weil ihr Sohn Robert es
nicht anständig pflegte.
„Sie heißt übrigens Monika“,
erklärte unser Vater.
„So heißt vielleicht eine
Schuhcreme, aber nicht mein kleines Goldstück hier!“, erwiderte Mutter. Sie
nahm das Mädchen in den Arm und sagte zärtlich: „Nee, mein Schatz, du heißt
jetzt Franziska. Hier, das Meerschwein, das können wir meinetwegen Monika
nennen, aber doch nicht so einen süßen, lieben Fratz wie dich.“
Während Omma Zarth Koteletts
panierte, Bernhard an alle außer unsere Mutter Karten austeilte und mein Bruder
Monika (das Meerschwein) wie ein Spielzeugauto über den Küchenboden schob,
wobei er Fahrgeräusche imitierte, dachte man darüber nach, wie man Franziska
ihren Eltern zurückgeben könne, ohne der Kindesunterschlagung beschuldigt zu
werden. Es wurde eine hitzig geführte Debatte daraus, immer wieder durch
Ermahnungen an meinen Bruder unterbrochen, er möge etwas achtsamer mit dem
Meerschwein umgehen, wenn es so jämmerlich quieke, verstünde man sein eigenes
Wort nicht mehr. Schließlich wurde mein Bruder mit dem Tier in Onkel Catchers
Zimmer geschickt und des Weiteren beschlossen, Franziska dort auszusetzen, wo
Mutter sie gefunden hatte. Man würde die Polizei informieren und von einer
sicheren Stelle aus darüber wachen, dass die Polizisten die Kleine auch fänden.
Mutter gab vor, mit meinem Bruder
und seinem ramponierten Meerschwein zum Tierarzt zu müssen, und ohne sie finde
die Übergabe auf keinen Fall statt. Vater konterte, sonntags wären die
Tierarztpraxen geschlossen, aber ehe das Streitgespräch richtig aufflammen
konnte, trug Omma Zarth das Mittagessen auf, und es wurde gegessen.
Anschließend beschloss Mutter, Franziska noch die Haare zu schneiden, die
Kleine sähe ja fürchterlich aus. Während des Frisierens, als die Männer wieder
Karten spielten, entschied sie überdies, dass Franziskas schwarzes Haar
unvorteilhaft wirke und färbte es kurzerhand blond. Franziska war nicht
wiederzuerkennen und mein Vater besorgt. Er verfrachtete uns alle ins Auto und
startete mit finsterer Miene den Motor. Seine Laune war ohnehin schlecht, denn
er hatte beim Kartenspielen verloren. Als auch noch mein Bruder das Meerschwein
fallen ließ, das zunächst unter den Fahrersitz floh und von dort unter die
Pedalen, so dass unser Vater, um das Meerschwein nicht mit seinen Füßen zu
zerquetschen, die Handbremse ziehen musste, als wir uns der roten Ampel
näherten, lagen seine Nerven blank. Das nachfolgende Fahrzeug, ein froschgrüner
Ford Taunus, knallte hinten rein, und unser Vater warf unserer Mutter böse
Blicke zu. Die Argumentation des Fahrers, der uns hinten draufgefahren war,
erschöpfte sich im Wesentlichen darin, er habe keine Bremslichter aufleuchten
sehen. Als
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