Social Netlove
Herr Dr. Hagenborn blickte mich ernst an und seufzte erneut, diesmal weitaus schwerer. Ich kam mir vor wie in einem Paralleluniversum, in dem alles vollkommen verkehrt lief. Jetzt wurde ich gerügt, weil Norbert mit seiner Arbeit geschludert hatte?
Hallo?!
»Es geht nicht darum, dass Sie unserer Auszubildenden helfen wollten. Das ist natürlich sehr löblich. Aber« – und nun verzog sich sein Mund sogar ärgerlich – »Sie haben nicht die Befugnis, Frau Sturm einfach nach Hause zu schicken, wenn uns hier Kollegen fehlen. Damit geben Sie ihr ein völlig falsches Signal, das der beruflichen Karriere von Frau Sturm nicht förderlich sein wird.«
Und das richtige Signal war es, dass Franzi mit ansah, wie die Hälfte der Belegschaft uneffektiv arbeitete?
»Sie haben eigenmächtig entschieden, und zwar zum Nachteil der Firma. Wir alle sind nicht zum Spaß hier, und Sie wissen, wie mäßig das Geschäft gerade läuft. Wir müssen München tadellos zuarbeiten, denn unsere Zweigstelle ist die erste, die bei Einsparungen auf der Strecke bleiben wird.«
»Aber es wurde doch alles erledigt. Gut, vielleicht war es nicht inOrdnung, dass ich Franziska einfach weggeschickt habe, ohne dies mit Ihnen abzusprechen, aber ich habe immerhin nichts unfertig liegen lassen, so wie …« Ich zögerte. Vermutlich war es eher unklug, in dieser Situation andere zu beschuldigen. Das würde lediglich so aussehen, als wollte ich von mir ablenken. »Herr Dr. Hagenborn, ich bin wirklich die Letzte, die nicht zum Wohl der Firma handelt.«
»In Ordnung, Marie. Belassen wir es dabei. Aber ich möchte nicht, dass so etwas noch einmal vorkommt. Extrawürste haben wir hier nicht zu verteilen, schon gar nicht an eine Auszubildende.«
Ich nickte resignierend und verschwand so schnell wie möglich wieder in meinem Büro. Von gegenüber konnte ich Norbert sehen, der mich überlegen angrinste.
Na warte
…
Glücklicherweise war Franziska erst mal raus aus der Schusslinie. Sie hatte in den nächsten eineinhalb Wochen irgendeinen Berufsschul-EDV-Lehrgang, den ihr Klassenlehrer in Abstimmung mit den ausbildenden Betrieben organisiert hatte. So konnte ich mir Norbert in Ruhe vorknöpfen, ohne dass das arme Mädchen etwas von dem Stress mitbekam, den meine eigenmächtige Entscheidung hier ausgelöst hatte.
Zurück an meinem Arbeitsplatz spürte Katja die schlechte Stimmung sofort und verhielt sich für ihre Verhältnisse ziemlich versöhnlich. Sie stellte das Radio ein wenig lauter und kramte aus ihrem Versteck in der Schreibtischschublade eine kleine Packung Schokoladenkekse, die sie in der Mitte unserer Tische platzierte.
»Gab‘s Ärger?«, fragte sie beiläufig, während sie so tat, als würde sie im Internet etwas recherchieren. Tatsächlich aber musterte sie mich unverhohlen unter ihrem schwarzen Pony hindurch. Die Frage, was der Chef mit mir besprochen hatte, stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben.
»Nicht der Rede wert«, antwortete ich abwehrend. Obwohl ich gerade in allerbester Lästerlaune gewesen wäre, verspürte ich keine große Lust, ausgerechnet mit meiner persönlichen Bürohexe über Herrn Dr. Hagenborns Einlauf zu sprechen.
»Das geht mich ja eigentlich auch gar nichts an«, bemerkte Katja trocken. »Außerdem kann
dir
hier ohnehin nichts passieren, du bist schließlich der unangefochtene Liebling vom Chef. Was ja auch kein Wunder ist. Mit deinem Abitur hättest du längst woanders arbeiten können. Und auch wenn der Hagenborn von seinem Laden nicht mehr viel Ahnung hat, wenigstens das hat er begriffen.« Sie schnaubte leise. »Ist doch schön, dass er eine Dumme gefunden hat.«
»Jaja«, murmelte ich und verdrehte genervt die Augen. Aus Trotzüber die absurde Standpauke von Dr. Hagenborn loggte ich mich bei Facebook ein. Es war ohnehin gleich Pause, und wenn man in dieser Firma nicht durch Fleiß zu Lob kam, dann vielleicht durch Fehlverhalten? Andere machten es ja bereits erfolgreich vor.
Ooh
. Ein Blick auf den Bildschirm hob meine Stimmung sofort. Ich hatte eine neue Nachricht!
Betreff: The secret of language
29. März um 10:35
Dear Marie,
dein Kollegium klingt ja grauenvoll. Ich weiß wie es ist, wenn man der Einzige ist, der richtig arbeitet – und zum Dank am besten noch die Aufgaben der anderen erledigen darf, weil man es ja ‚so gut‘ kann. Wusstest du übrigens, dass das Wort ‚Faulpelz‘ auf schimmelnde Lebensmittel zurückgeht? Ist ein interessanter Vergleich, oder?
Als Boygroupsänger lernt man leider
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