Socrates - Der friedvolle Krieger
dass sie kämpfen lernte. Nachdem sie die Grundlagen von Jergowitsch erfahren hatte, bestand Sakoljew darauf, dass ihr zusätzlich jeder der Männer das beibrachte, was er besonders gut konnte.
Nur einer hielt sich von ihr fern: Korolew. Er hatte keine Zeit für diese - wie er es nannte - Kindereien.
Der Ataman war vernarrter denn je in Paulina und schwankte ständig zwischen sentimentaler Rührseligkeit und väterlicher Strenge hin und her. Er verlangte von ihr, dass sie beim Training stets ihr Bestes gab - am Morgen, am Nachmittag und am Abend. Paulina war dazu bereit und verfügte zudem über die dafür erforderliche Energie. Sie war stolz auf alles, was sie gelernt hatte, und wandte es mit einer solchen Präzision und Hingabe an, dass alle, die ihr zusahen, außerordentlich beeindruckt waren.
Konstantin blieb in dieser Zeit gern für sich allein, las, träumte oder malte Bilder in den Sand. Manchmal holte er sich ein Stück Holzkohle und malte Bilder auf Stückchen getrockneter Rinde. Er dachte immer öfter an Paulina, denn er liebte ihre Sanftheit und ihre Unschuld - beides Qualitäten, die ihm irgendwie abhanden gekommen waren. Wenn sie bei ihm war, schien es ihm, als würden sie aus der Dunkelheit einer engen, dreckigen Hütte hinaus in die Frische eines Frühlingsmorgens treten. Manchmal sah er heimlich zu, wenn der große Jergowitsch sie trainierte.
Jergowitsch war ein beeindruckender Mann von einer solchen Größe, dass er alle anderen Männer - mit Ausnahme von Korolew - überragte. Mit seinem gewaltigen Leibesumfang, seinem dichten braunen Bart und der behaarten Brust, erinnerte er einen an einen Bären. Und er hatte die Kraft eines Bären. Zwar konnte er sich nicht so schnell bewegen wie einige der jüngeren Männer, aber dafür konnte er ihre Angriffe vorhersehen und sie stets im Keim ersticken.
Früher war er einmal Maurer gewesen und eines Tages geriet er mit Tomorow in einem Wirtshaus aneinander. Es dauerte nur ein paar Augenblicke, dann lagen Tomorow und jene aus der Truppe, die ihm zu Hilfe geeilt waren, mit schmerzverzerrten Gesichtern auf dem Boden. Aber außer ihrem verletzten Stolz hatten sie sich keine größeren Blessuren zugezogen. Jergowitsch hatte sich anschließend an den Ataman gewandt und gesagt: »Ich kann diesen Welpen beibringen, wie man richtig kämpft.« Und so war er zu ihnen gestoßen. Niemand konnte ihn besiegen - außer Korolew, der dem alten Bären einmal fast den Schädel eingeschlagen hätte. Aber da er sich dabei selbst einige Wunden zugezogen hatte, hegte er seitdem einen gewissen Respekt für Jergowitsch. Nach diesem Kampf hatten ihn alle den großen Jergowitsch genannt und er war einer der ihren geworden.
Da er außerdem gehorsam und vertrauenswürdig war und keine unnötigen Fragen stellte, war er als Lehrer für Paulina hervorragend geeignet. Er schätzte seine neue Stellung als Ausbilder und empfand ehrliche Freude über die Fortschritte des Mädchens. Er hatte keine eigene Familie und war nur mit Schura etwas enger befreundet, da sie die einzige Frau in seinem Alter war. In gewisser Weise waren Jergowitsch und Schura die Eltern des Mädchens geworden.
Der große Bär vertrug sich mit allen Männern, außer mit Korolew, denn ihm gefiel nicht, wie der Riese Paulina ansah. Korolew war klug genug, sie in Ruhe zu lassen, aber Jergowitsch traute ihm nicht. Für ihn war Korolew ein Tiger, der - wenn es ihm gefiel - den Zahmen spielte, dabei aber mit peitschendem Schwanz abwartete, bis seine Stunde gekommen war. Bär und Tiger belauerten sich also gegenseitig und warteten ab.
Paulina musste unter Jergowitschs Aufsicht jeden Tag laufen, schwimmen und klettern. Außerdem brachte er ihr Kampftechniken bei, die er den anderen nie gezeigt hatte. Seine Geheimnisse hatte er nur ihr verraten. Er hatte sich fest vorgenommen, sie so gut auszubilden, dass sie - wenn es so weit war und wenn er sie nicht mehr würde beschützen können - zumindest eine Chance gegen den einarmigen Riesen hatte.
Konstantin bemerkte, dass er seit einiger Zeit immer hungrig war. Er wuchs aus seiner Bluse und aus den Stiefeln heraus. Eine Zeit lang musste er barfuß gehen, bis er auf einem Haufen abgelegter Sachen endlich alte Stiefel in seiner Größe fand. Er kam sich neuerdings immer ungelenk vor und seine Stimme wurde abwechselnd schrill und tief. Er musste oft an Frauen denken und an das, was sie mit den Männern taten und was sie eines Tages auch mit ihm tun würden. Dann dachte er an
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